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Wirtschaft 269
Hand organisiert und fanden innerhalb der Städte statt.546 In der Vita des Seve-
rin besuchte ein Romane Ufernoricums einen Markt auf der „barbarischen“ Seite
der Donau, dieser kleine Grenzverkehr war nichts Ungewöhnliches.547 Nach dem
Rückzug der römischen Ordnung wurden die Märkte zunehmend herrschaftlich
organisiert. Die Handelsplätze und Märkte befanden sich nun meist außerhalb
der Stadtmauern. Die civitates und castra des frühen Mittelalters hatten wohl au-
tomatisch das Recht, Märkte zu veranstalten. Königliche Privilegien zur Markt-
veranstaltung sind ab dem 9. Jh. bekannt, sie waren aber eher ein Sonderfall. Im
Raffelstettener Zollweistum waren die Zollorte gleichzeitig Marktorte. Zusätzlich
gab es kleine, lokale Märkte überall dort, wo ein Bedarf herrschte.548 Diese Art von
Wirtschaft kam ohne Geld aus, denn es wurde vor allem getauscht.
Spezialisierungen gab es nur in wenigen Berufen. In den Quellen der Westalpen
werden Hirten und Schmiede erwähnt.549 Diese und andere Handwerker stan-
den meist in Abhängigkeit des Großgrundbesitzers, der sie zur Bewirtschaftung
seiner Güter brauchte. In Churrätien gab es schon um 956 urkundlich genannte
Töpfermeister, vassellarii, die in spezialisierter Arbeit ihre Gefäße herstellten. Sehr
wahrscheinlich handelte es sich bei den hergestellten Produkten um Specksteinge-
fäße.550 Die Handwerker wirkten vielleicht sogar in eigenen Töpferdörfern, deren
Ursprünge in römische Zeit zurückreichten.551
Das churrätische Tellotestament aus dem Jahr 765 zeigt, wie die Bauern des
8. Jh. im Zentralalpenraum lebten. Im Mittelpunkt eines Landgutes, hier beispiel-
haft das von Sagogn, stand das Herrenhaus mit mehreren Einzelräumen : beheizte
Zimmer, Keller und Küche. Daneben gab es kleinere Wirtschaftsgebäude wie Vieh-
ställe, Scheunen, Speicher, Keller und Gasträume. Rundherum lagen die Gemüse-
gärten und Weinberge. Dazu kamen noch die abhängigen Bauern, hier halbfreie
coloni und unfreie spehatici genannt, die jeweils ein selbstständiges Bauerngut bzw.
die Höfe des Grundbesitzes bewirtschafteten. Möglicherweise gab es auch schon
Gemeindeland, also Allmende. Der Herrenhof von Sagogn umfasste ein Gesamt-
areal von 20 ha. Es beinhaltete nicht nur Äcker sondern auch etwa 4,9 ha Weide.
Manche dieser Weiden waren Almen und befanden sich, wie die Alm Nagiens, auf
546 Loseby, Decline and Change 87.
547 Wolfram, Grenzen und Räume 49 ; Eugippius, Vita s. Severini c. 9.
548 Mitterauer, Markt und Stadt 62 u. 186 f.
549 Siehe auch Kapitel „Alm- und Viehwirtschaft“ ab folgender Seite.
550 MGH DD OI Nr. 182, S. 265 : „sex etiam vassellarii vasorum magistri“ ; Kaiser, Churrätien 223 ;
Gross/Zettler, Nachantike Lavezfunde 25. Siehe dazu auch das Kapitel über Stein als Exportpro-
dukt der Alpen ab S. 164.
551 Bundi, Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte Graubündens 32, 70 ;
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361