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304 Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen
ist, dass sie sich stets an einem Alpenübergang befinden, wenn auch manchmal an
eher lokalen Wegen, wie etwa im Fall des 1.991 m hohen Col de Larche.
Die in der Urkunde erwähnten Güterarten entsprechen größtenteils denen, die
auch in den Pertinenzformeln des Flachlandes aufgezählt werden. Doch gibt es in
den alpinen Regionen einige Besonderheiten. Weingüter finden sich auch inmitten
des Gebirges, zusätzlich wird die spezielle alpine Landwirtschaft fassbar.25 Es wer-
den Hochweiden, alpes, und der dazugehörige Schäfer, verbicarius, erwähnt.26 Hier
ist deutlich zu sehen, dass in den Westalpen Almwirtschaft in der Struktur von
Landbesitz und persönlicher Abhängigkeit eingebunden war. Die Besitzungen im
Tal wurden von Menschen bewirtschaftet, die auf unterschiedliche Weise abhängig
von Abbo waren. Die Bandbreite reichte von recht unfreien mancipiis, colonis ac
colanis, inquilinis und seruis zu den freieren ingenuis und libertis.27
Doch die Besitzungen waren weitverstreut und die Kontrolle schwierig. Im
Rhônetal am Fuße der Alpen wurden beispielsweise die Einfälle der Sarazenen
dafür verantwortlich gemacht, dass einige der Güter zerstört und die dort arbei-
tenden Unfreien vertrieben worden waren. Die Beauftragten des Erben, die Abtei
Novalesa, waren nun befugt, diese wieder unter die Herrschaft zu bringen, sobald
sie ihrer habhaft werden konnten.28 Dieses Quellenstück könnte vielleicht ein Hin-
weis darauf sein, dass die bäuerliche Gesellschaft die Verwirrungen der Zeit nutzte,
um sich der Herrschaft zu entziehen. Innerhalb der West- und Zentralalpen selbst
gibt es keine Überlieferungen von bäuerlichen Konflikten.29 Man kann aber auf-
grund dieser Quellenlage vielleicht davon ausgehen, dass die Macht der Grundher-
ren, die im Wesentlichen aus der Spätantike stammt und römische Grundlagen hat,
weiterbestand. Die bäuerlichen Gesellschaften waren hier stets in Abhängigkeit
geblieben und konnten wenig autonome lokale Strukturen entwickeln.
25 Geary, Aristocracy 44 ff.
26 Testament des Abbo ed. Geary 48 (c. 12), 52 (c. 20), 54(c. 24).
27 Testament des Abbo ed. Geary 48 (c. 13), 50 (c. 18), 54 (c. 26), 56 (c. 27), 70 (c. 51), 72 (c. 52).
Diese Quellenstellen erwähnen alle oben genannte Formen der Abhängigkeit mitten im Gebirge,
insbesondere c. 18, wo Besitz mit „ingenuis, libertis et seruis“ in den Nebentälern von Briançon bei
Névache und im Tal von Guisanne übergeben wird. Auch in der Tarentaise werden Güter mit „man-
cipiis, libertis, colonis, inquilinis, et seruis“ genannt (c.13) ; Geary, Aristocracy 90 ff. Zu den Formen
der Abhängigkeit in der Provence des frühen Mittelalters siehe auch Poly, La Provence et la société
féodale 104 ff.
28 Testament des Abbo ed. Geary 76 und 126 f.
29 Wickham, Framing 578 f. und 350. Er deutet die bäuerlichen Revolten des 8. und 9. Jh. als Zeichen
von einem zunehmenden Zugriff mächtiger Eliten auf vorher relativ freie Bauerngesellschaften, die
sich regional im Laufe der Spätantike und des frühen Mittelalters entwickeln konnten, 583 zu den
Alpen.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361