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308 Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen
Rechtsgeschäften. Anderorts liegt der Anteil an Frauen bei etwa 14 %. Der hö-
here Prozentsatz liegt vermutlich auch in der römischen Rechtstradition be-
gründet.44
Weiter im Osten sind die Nachfahren der römischen Bevölkerung Teil des Fürs-
tentums Baiern. Noch bis in das 9. Jh. kann man deutliche Lebenszeichen dieser
Gemeinschaft erkennen. So führt das „Rottachgau-Fragment“ eine direkte spätan-
tike Traditionslinie aus dem 5. Jh. in das 7./8. Jh. Parallelen zu den churrätischen
Urkunden zeigen, dass die gemeinsamen spätantiken Traditionen des Voralpen-
raumes noch bis in das 7./8. Jh. regional weiterleben konnten.45 Aus den Quellen
ist ersichtlich, dass die Eliten dieser Bevölkerung bis zum Herzog hinauf beste
Verbindungen hatten, wie unten am Beispiel der Maximilianzelle gezeigt werden
wird. Besitzstrukturen der Spätantike hatten innerhalb des Gebirges und nahe den
Alpen noch überlebt und sich bruchlos von einer spätantiken zu einer frühmit-
telalterlichen Form weiterentwickelt. Der Trend zu germanischen und biblischen
Namen verschleiert die Geschichte dieser reichen Familien mit romanischen
Ursprüngen. So trugen die Mitglieder der hochrangigen genealogia aus Oberalm
romanische und germanische Namen.46 Die Adelssippe, die die Gründung von
Scharnitz/Schlehdorf initiierte, hatte einen romanischen Hintergrund47 und im
Schäftlarner Adelskreis findet man einige Mitglieder mit romanischem Namen,
aber auch eine ancilla namens Tunica.48 Ein gutes Beispiel, dass Namen Ausdruck
von Moden und Anpassung an die Herrschaft sein können und nicht Zeichen eth-
nischer Zugehörigkeit, ist etwa ein Ehepaar aus Churrätien, das im Jahr 825 eine
Urkunde abfassen lässt. Libucio und Ampelia, Träger und Trägerin eines romani-
schen Namens, urkunden hier gemeinsam mit ihrem Sohn, der den germanischen
Namen Berfredus trägt.49
Im bairischen Herzogtum konnten sich Romanen im Inntal und südlich davon
noch lange als zusammengehörige Gruppe behaupten.50 In der Vita des Corbinian
von Arbeo, geschrieben um 770, wird ein „quidam nobilis tam genere quam forme
Romanus Dominicus vocabulo Preonensium plebis concives“ genannt, der im Inn-
44 Erhart/Kleindinst, Urkundenlandschaft Rätien 90 ff.
45 Ebd. 36 f.
46 BN 3.11 ed. Lošek 93 Die Brüder Ledi (von Latinus) und Urso haben Nachkommen mit den roma-
nischen Namen Dulcissimus und dem germanischen Wernharius.
47 Trad. Freis. ed. Bitterauf Nr. 19 S. 46 ; Jahn, Ducatus Baiuvariorum 412.
48 Jahn, Ducatus 369 ; romanische Namen in den Traditionen des Klosters Schäftlarn finden sich in den
Urkunden Nr. 1, 5, 9, 11, 13, 14 (in loco[…] Walchsteti), 15, 16, 18, 24 u. a. ed. Weissthanner.
49 Erhart/Kleindinst, Urkundenlandschaft Rätien 94 und Urkunde Nr. 31.
50 Wolfram, Grenzen und Räume 196 f.; Heitmeier, Inntal 254 ff.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361