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310 Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen
antiken Bevölkerung erkennen.60 Greifbar werden romanische Bewohner auch an
der Route über den Seefelder Sattel, einer alten Römerstraße. Hier findet sich der
Walchensee, darunter der Wallgau und nochmals etwa 15 km südlich Scharnitz.
Der Name dieses Ortes lässt sich mit der römischen Straßenstation Scarbia der
Tabula Peutingeriana verbinden. Nicht zufällig dürfte daher im Jahr 763 an diesem
strategisch wichtigen Punkt das Kloster Scharnitz gegründet worden sein.61 Das
Kloster wurde von Adeligen, von denen einige romanischer Herkunft gewesen
sein dürften, gestiftet und mit einer reichen Ausstattung versehen.62 Die dem Klos-
ter übergebenen Güter befinden sich im Inntal, unter anderem in oppido Humiste
(Imst), sowie im pagum desertum quem Uualhogoi appellamus, heute Wallgau (dazu
mehr S. 318). Außerdem umfassen sie den dortigen See sowie die Fischrechte
und weiteren Besitz an dem dortigen Abschnitt der Isar. Die Besitzungen werden
mit liberis, colonis und servibus übergeben. Niedergelegt wurde die Schrift in solitu-
dine Scarantiense.63 Doch der pagus desertus Wallgau und die Einöde von Scharnitz
waren alles andere als verlassen. Man nimmt an, dass sich dieser Ausdruck auf
die fehlende oder nicht ausgeprägte Herrschaft in dem Raum bezieht.64 Dass der
Raum tatsächlich einsam und leer war, scheint schon angesichts der Bedeutung
des Weges über den Seefelder Sattel Richtung Brenner und Reschenpass höchst
unwahrscheinlich. Jahn interpretiert den Ausdruck solitudine sogar als „Ausdruck
fiskalischer Rechte an diesem Gebiet“. 65
Nur wenige Jahre später, 772, verlegte der ehemalige Abt von Scharnitz und
nunmehrige Bischof von Freising, Arbeo, das Kloster in das weiter nördlich ge-
legene Schlehdorf. Die Gründe dafür nennt er nicht, nur dass es auf seinen Rat
hinaus geschehen sei : „[…] postmodum per nostrum consilium locum mutaverunt
ad Slehdorf“.66 Möglicherweise war Schlehdorf einfach der bedeutendere Sitz der
Adelsfamilie, oder es gab andere politische Hintergründe, die heute nicht mehr
nachvollziehbar sind.67 Die Betonung, dass die Gründung in einer solitudo und
die nächstgelegenen Güter an einem verlassenen Gau lägen, sollte vielleicht nur
60 Dopsch, Zum Anteil der Romanen 47 ff. Das gleiche gilt für die Barschalken-Orte.
61 Jahn, Ducatus 408 ff. über Scharnitz und auch die politischen Hintergründe der Gründung.
62 Ebd. 412.
63 Trad. Freis. ed. Bitterauf Nr. 19 S. 46.
64 Jahn, Ducatus 411 ; Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 161 f.
65 Jahn, Ducatus 412.
66 Trad. Freis. ed. Bitterauf Nr. 53 S. 81. Jahn, Ducatus 422. Er setzt die Verlegung schon in die Jahre
764,766 oder 767. Zur Bedeutung dieses Überganges siehe auch das Kapitel „Routen über die Alpen :
Zentralalpen“ ab S. 135 und die Klöster im Voralpenraum ab S. 228.
67 Jahn, Ducatus 422. Dass die Abgelegenheit des Klosters für die Aufgabe verantwortlich wäre, ist
eine oft geäußerte These, jedoch durch Quellen nicht belegbar. Klöster lagen in dieser Zeit an noch
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361