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I.4 Quellen und Quellenkritik
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I.4.2 Spezifische Problemlagen einzelner Quellengattungen
In Vertiefung des bislang Gesagten lassen sich für die Arbeit mit bestimmten Quel-
lensorten besondere quellenkritische Herausforderungen benennen. So war bei der
Interpretation von Aussagen aus Interviews – neben allgemeinen Aspekten wie
der zeitlichen Distanz , der mündlich-spontanen Wiedergabe von Erinnertem u.
dgl. – zu berücksichtigen , dass das Gros der Interviewten mit dem Burschenschafts-
wesen mehr oder weniger eng verbunden war ( oder noch ist ), dies allerdings meist in
konflikt behafteter Weise. Die Sicht dieser Interviewpartner auf den Untersuchungs-
gegenstand war daher mit einiger Wahrscheinlichkeit von Effekten persönlicher Krän-
kung bzw. Verärgerung beeinflusst , möglicherweise aber auch von Distanzierungs- oder
Rechtfertigungsbedürfnissen.
Die Aula als eine der in diesem Buch meistzitierten Quellen liefert ein muster-
gültiges Beispiel ( mutmaßlich ) verengter Abbildung des burschenschaftlichen bzw. ver-
bindungsstudentischen Meinungsspektrums. Schon in quantitativer Hinsicht war die
Vielfalt ihrer Autoren stets eng begrenzt.67 Es galt , was auch der Schriftleiter der Bur-
schenschaftlichen Blätter für sein Blatt wiederholt konstatieren musste : dass es „immer
wieder dieselben Verbandsbrüder sind , die sich zu Worte melden“, wodurch „die Mei-
nung eines nicht kleinen Teiles der Aktiven und der Alten Herren nicht zur Geltung“
komme.68 Dass die Bandbreite der abgedruckten Positionen in den Blättern dennoch
größer ausfiel als in der Aula , spiegelt nicht nur die größere Heterogenität des bundes-
deutschen Burschenschaftswesens wider , sondern war auch der jeweiligen Blattlinie ge-
schuldet. Insoweit potenzielle Autoren nicht bereits in Antizipation der Grenzen des
in der Aula ( im diskursanalytischen Sinne ) Sagbaren69 Selbstzensur übten , kam offen-
bar die gatekeeper-Funktion der Blattmacher und anderer einflussreicher Personen im
Redaktionsumfeld zum Tragen. Auf die Wahrnehmung einer „ideologische( n ) Tyran-
nei“ bestimmter Personen im Aula-Umfeld wird an anderer Stelle zurückzukommen
sein.70 Ergänzend ist festzuhalten , dass schon die Bereitschaft , für das Grazer Medium
zu schreiben , Ausdruck eines überdurchschnittlichen Maßes an Identifikation mit dem
Verbindungswesen bzw. besonderen Engagements um dieses war
– Merkmale , die un-
ter Burschenschaftern in Österreich in der Regel mit einer bestimmten ( hegemonia-
len ) Interpretation der burschenschaftlichen Idee einhergingen ( vgl. Kapitel III.2.1 ).
67 Vgl. ( für den Zeitraum um 1990 ) Gärtner 1996 , 152–171 und 224–227.
68 BAK , DB 9 , B. VI. Burschentage [ a ], Arbeitsunterlagen zum DB-Burschentag 1977 , 15 sowie ( fast wort-
ident ) zum DB-Burschentag 1978 , 12.
69 Vgl. zum Konzept des Sagbaren bzw. Sagbarkeitsfeldes Jäger 2004 , 127–157. Jäger bestimmt das Sagbare
als Summe „alle( r ) Aussagen , die in einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit geäußert
werden ( können )“ ( ebd., 130 ).
70 E-Mail von Sigurd Scheichl vom 11. 2. 2012.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619