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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘
Mit Blick auf die bisherigen wie auch die noch folgenden Ausführungen in Kapitel III
lassen sich einige allgemeine Feststellungen zu fördernden und beschränkenden Fak-
toren innerburschenschaftlicher Heterogenität treffen – und somit auch zu den Ursa-
chen von Unterschieden zwischen Bünden in Sachen Demokratiequalität. So begrenzt
etwa burschenschaftliche Erziehung Vielfalt auf allen Ebenen ( intra- und interbün-
disch sowie nach außen ), insofern sie sich als Indoktrination der ihr Unterworfenen
vollzieht und sich an Leitidealen wie Gehorsam und Disziplin orientiert. Umgekehrt
kann sie Heterogenität aber auch begünstigen , indem sie darauf abstellt , Individualität
und ( nicht auf Kollektivzugehörigkeiten basierendes ) Selbstbewusstsein zu kultivieren.
Wie in Abschnitt III.3 dargestellt , ist burschenschaftliche Erziehung zentraler Bestand-
teil eines Ausleseprozesses , der
– jedenfalls in Österreich
– tendenziell auf Homogeni-
sierung ausgerichtet ist. Nach Ablauf der Probezeit wird dem Aspiranten die Aufnahme
verweigert ( oder verzichtet er selbst auf diese ), wenn trotz Unterweisung die für nötig
befundene ideologische Passgenauigkeit nicht gegeben scheint. Auch das ordentliche
Mitglied bleibt Objekt von Pädagogisierung und Sanktionen bis hin zum Ausschluss
unterworfen , wenn es gegen Grundsätze verstößt – ein freilich übliches Merkmal po-
litischer Organisationen.322 Das bei Aldania Wien 1923 beschlossene Prinzip , wonach
auch ein freiwilliger Austritt legitimerweise nur „im Falle eines ehrenvollen Gesinnungs-
wechsels“ erfolgen dürfe , ist gleichfalls darauf ausgerichtet , innerbündischer Heteroge-
nität vorzubeugen.323 In dieselbe Richtung wirken autoritäre und hierarchische Struk-
turen innerhalb des Bundes , die kritischem Denken und der Äußerung abweichender
Meinungen negative Anreize bieten ( vgl. Abschnitt III.8.4 ). Dazu zählen insbesondere
auch die ideologische Dominanz einer homogenen inneren Elite ( Meinungsführer , vgl.
Abschnitt III.2.3 ) und die fortwährende Reproduktion einer ideologisch konformen
Führungsriege ( oder politischen Klasse unter Burschenschaftern , Kapitel III.2.2 ). Demo-
kratische Strukturen und Entscheidungsprozesse begünstigen dagegen Heterogenität ,
sofern sie demokratisch ausgestaltet nicht bloß in formalem Sinne sind , sondern tat-
sächlich zur Äußerung und zum Austausch widerstreitender Meinungen ermutigen.
322 Der DBÖ zufolge „kommt es zu Ausschlüssen ( … ), wenn eine weitere Mitgliedschaft des Betreffenden
für die B ! nicht mehr tragbar erscheint. In diesem Fall steht das Wohlergehen und Ansehen der B ! als
Gesamtheit im Vordergrund.“ ( AVSt , DBÖ 1994 , 6 ) Notierenswert erscheint hieran zum einen , dass das
Wohl des Kollektivs im Fall des Falles dessen Versprechen gegenüber dem Individuum ( Lebensbund-
prinzip ) aushebelt , was den unbedingten Vorrang des Kollektivs als Grundkonstante burschenschaftli-
cher Ideologie unterstreicht. Zum anderen wird die Tragbarkeit eines Mitgliedes hierbei offenbar nicht
anhand inhaltlicher Kriterien – etwa : einer pro-demokratischen Gesinnung – bestimmt , sondern an-
hand der Verkraftbarkeit der Folgen individuellen Verhaltens für den Bund.
323 Aldania 1994 , 89 ( Herv. entf. ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619