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III.5 Wandel und Beharrung
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Zutrauen der Österreicher in ihre eigene Auslegung der burschenschaftlichen Idee blieb
auch in den folgenden Jahrzehnten ungebrochen.382
III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe
Vor dem Hintergrund der eben beschriebenen Bunkermentalität sorgten die Oberöster-
reicher Germanen 1963 für einen Paukenschlag : Am DBÖ-Tag stellten sie einen scharf
formulierten Antrag , der eine Bestandsaufnahme burschenschaftlicher Praxis in Ös-
terreich enthielt und dieser „geradezu reaktionären Charakter“ unterstellte , da sie sich
weitgehend in „reine( n ) Vereinsaufgaben“ erschöpfe.383
Mit Recht beklagen sich viele verantwortungsbewußte Burschenschafter über eine Erstarrung
des burschenschaftlichen Lebens. Statt Wissenschaftlichkeit und weltoffenen Denkens macht
sich ein geradezu reaktionäres Denken in der Burschenschaft breit. Emotionelles Denken und
damit Mystifizierung überholter Begriffe verhindern das Ausbrechen aus einem Elfenbein-
turm , den zu verlassen die Burschenschaft nach Wiedergründung 1945 nicht den Weg ( und
den Mut ) gefunden hat. Der Gehalt der burschenschaftlichen Ideale ist dringend zu aktuali-
sieren und viele Dogmen zu erkennen und ihrer Scheinargumentation zu entkleiden. Dazu ist
es notwendig , losgelöst von jeder nationalistischen Romantik , die nüchterne nationale Auf-
gabe der Burschenschaft wieder zu erkennen , und unsere Arbeit darauf zu konzentrieren.384
Basierend auf dieser Bestandsaufnahme forderten die Obergermanen eine Debatte dar-
über , „wie das erstarrte burschenschaftliche Denken und damit die Burschenschaft aus
ihrem Ghetto herausgeführt werden kann“.385 Zu diesem Zweck sollten eigene Dis-
kussionsrunden stattfinden , deren Teilnehmer von der Vertretung von Bundmeinun-
gen zu entbinden wären , um losgelöst von interkorporativen Prestigeerwägungen „frei
ihre eigenen Gedanken“ zu äußern.386 Die Oberösterreicher orteten also einen Missstand
im üblichen Delegiertenprinzip , das nur die Artikulation zuvor im Bund abgestimm-
ter Meinungen erlaubte und so Minderheitsmeinungen marginalisierte , sowie in der
Scheu der Bünde , als Erster unorthodoxe Meinungen offen zu äußern.
Unter Berücksichtigung seiner Form als im Rahmen der DBÖ gestellter Antrag
stellt dieses Dokument das schonungsloseste Beispiel burschenschaftlicher Selbstkri-
tik aus Österreich im gesamten Quellenmaterial dar. Als solches unterstreicht es so-
wohl die Erstarrung des Burschenschaftswesens hierzulande als auch den Umstand ,
382 Vgl. dazu etwa Kuhn 2002 , 84.
383 BAK , DB 9 , E. 4 [ A3 ], Arbeitsunterlagen zum DBÖ-Tag 1963 , 4.
384 Ebd., 5.
385 Ebd., 4.
386 Ebd., 5.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619