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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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III.8 Burschenschaften und Demokratie
In der Selbstdarstellung der Burschenschaften in Österreich nach 1945 kommt den
historischen Verdiensten des Burschenschaftswesens um die Durchsetzung von De-
mokratie und Bürgerrechten eine zentrale Stellung zu. Das war nicht immer so gewe-
sen , hatte doch lange Zeit das Streben nach nationaler Einheit die burschenschaftliche
Geschichtsschreibung und Außendarstellung dominiert.712 Die Burschenschaften hät-
ten einst verfassungsmäßige Zustände und bürgerliche Freiheiten erkämpft und wür-
den „immer ein Feind totalitärer Unterdrückung“ sein , erklärte die DBÖ 1977.713 Eine
Presseaussendung des WKR im Vorfeld des 8. Mai 2002 bekundete gleichfalls , dass
„( d )ie waffenstudentischen Korporationen“ sich stets für Demokratie und bürgerliche
Freiheiten eingesetzt hätten , deshalb „von jedem autoritären Regime verboten“ wor-
den seien und aus dieser Erfahrung den Anspruch ableiteten , auch in der Gegenwart
als Vorkämpfer für „Freiheit und Demokratie“ zu wirken.714 Auch Udo Guggenbichler
( Albia ) pochte 2010 auf eine kraft historischer Verdienste erworbene Berufenheit der
völkischen Korporationen , sich in demokratiepolitischen Fragen zu äußern , hätten sie
sich doch „in ihrer Geschichte immer für die Demokratie ausgesprochen“.715
Aussagen wie diese lassen nicht nur auf verblüffende Unkenntnis der eigenen Ge-
schichte
– oder , wahrscheinlicher , einen Hang zu ausgesprochen selektiver Erinnerung
derselben
– schließen , sondern verweisen auch auf die Legitimationsnot des völkischen
Verbindungswesens in der Zweiten Republik : Nicht nur dessen geschichtliche Assoziie-
rung mit Antisemitismus und Nationalsozialismus untergrub seine Salon fähigkeit , son-
dern auch die zahlreichen Manifestationen antidemokratischer Gesinnung ( v. a. ) durch
Burschenschaften und einzelne ihrer Angehörigen nach 1945. Angesichts dessen kam
dem Verweis auf Verdienste vor der illiberalen Wende im letzten Drittel des 19. Jahr-
hunderts und eine daraus abgeleitete Berufung und Bereitschaft zur Verteidigung der
damaligen Errungenschaften im Hier und Jetzt große Bedeutung zu.716 Im vorliegen-
den Abschnitt soll vor diesem Hintergrund das Verhältnis der Burschenschaften zur
712 Vgl. Lönnecker 2009b , 253 , speziell für Österreich vgl. Cerwinka 2009 , 110 f.
713 AVSt , DBÖ-Flugblatt 1977.
714 APA-OTS0114 vom 3. 5. 2002.
715 Junges Leben Nr. 4/2010 , 6.
716 Als Hauptleidtragende von Demokratiedefiziten und Grundrechtseinschränkungen wurden dabei meist
die völkischen Verbindungen und ihnen ideologisch nahestehende Kreise selbst identifiziert
– vgl. etwa
die Presseaussendung von SOS Grundrechte und Demokratie , einer „Plattform freiheitlicher Korpora-
tionsstudenten“, vom 2. 5. 2002 ( APA-OTS0136 ); den Bericht zum Symposium und Kommers ‚190. Jahre
Karlsbader Beschlüsse‘ der Linzer Arminia Czernowitz 2009 ( http://www.burschenschaftliche-blaetter.
de/netzversion/detailansicht/browse/5/meldung/395/190-jahre-k.html ); oder die Aussage Martin Grafs ,
wonach bürgerliche Freiheiten durch „( h )inter Phrasen wie ‚Zivilgesellschaft‘ oder ‚antifaschistischer
Grundkonsens‘ “ verborgene Initiativen bedroht seien ( Graf 2009b , 7 ). Dass die aktive politische Parti-
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619