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VI. ABSCHLIESSENDE ÜBERLEGUNGEN
Über vier Kapitel habe ich mich nun mit der politischen Praxis und Weltanschau-
ung der Burschenschaften in Österreich auseinandergesetzt. Ich habe die aus meiner
Sicht wichtigsten Entwicklungslinien in ereignis- , organisations- und ideengeschicht-
licher Hinsicht dargestellt und die Problemdefinitionen , die handlungsleitenden Motive
und die charakteristischen Denk- und Handlungsweisen der Akteure herauszuarbei-
ten versucht. Ich habe aufgezeigt , dass die Wiedererrichtung der völkischen Verbin-
dungen nach 1945 sich als weitgehend bruchlose Restauration auf allen maßgeblichen
Ebenen – Organisationsform , Brauchtum , Politikverständnis und Ideologie – vollzog.
Getragen war sie von der Weigerung , ernsthaft über jene Entwicklungen zu reflektie-
ren , die zu nationalsozialistischer Herrschaft , Krieg und Genozid sowie zur bereitwilli-
gen bis fanatischen Mitwirkung von Burschenschaftern an allen dreien geführt hatten.
Der Verzicht auf solche Reflexion begünstigte auch langfristig die politisch-ideologi-
sche Erstarrung des Burschenschaftswesens in Österreich und prägt burschenschaft-
liche Politik hierzulande bis heute in umfassender Weise – ein Umstand , der mir eine
gewisse , auch durch relativ gute Quellenlage ermöglichte Konzentration meiner Dar-
stellungen auf die ( erweiterte ) Restaurationsphase der 1950er- und 1960er-Jahre ange-
raten erscheinen ließ.
In Kapitel III habe ich den ( deutsch-)völkischen Nationalismus als Kern burschen-
schaftlicher Ideologie bestimmt. Dieser erfuhr vor dem Hintergrund einer von den
Burschenschaftern über 1945 hinaus kultivierten Selbstwahrnehmung als ‚Grenzland-
deutsche‘ , die ihr Volkstum unter widrigen Bedingungen zu verteidigen hätten , eine
besonders rigide Ausprägung. In weiterer Folge habe ich dargestellt , wie effektiv die
Burschenschaften Österreichs im Untersuchungszeitraum Reformimpulse und An-
sätze innerer Ausdifferenzierung hintanzuhalten vermochten , und habe zur Erklärung
dieser Effektivität , über die Langzeitwirkung der erwähnten Reflexionsabwehr hin-
aus , auf Faktoren wie die burschenschaftliche Erziehung , autoritäre Strukturen in-
nerhalb der Bünde und das burschenschaftliche Streben nach ‚Geschlossenheit‘ hin-
gewiesen. Auch das von einem Ideal der ‚Standhaftigkeit‘ geprägte Männlichkeitsbild
der Burschenschaften und ihre fundamental-oppositionelle Haltung gegenüber den
Großparteien und dem von diesen repräsentierten , staatstragenden Austro-Nationa-
lismus entfaltete konservierende Wirkung. Jene politisch-ideologische Oppositions-
haltung wurde durch den weitgehenden Ausschluss politisch nicht konversionswil-
liger Burschenschafter von der gesellschaftlichen Funktionselite im schwarz-roten
Patronagesystem noch verstärkt. Gleichzeitig forderte dieser Ausschluss das alther-
gebrachte Elitenbewusstsein der Burschenschafter heraus , das jedoch unter Betonung
seiner wertelitären Anteile überdauerte. Elitenbewusstsein und oppositionelle Grund-
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619