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VI. Abschließende Überlegungen
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Zeitdiagnosen von Aufrufen zum „Kampf“ gegen die „Vermassung“ ( und Geringschätzung
der alten Eliten ), die als Trend gesellschaftlicher Entwicklung nach 1945 wahrgenommen
wurde.34 Vorstellungen wie diese knüpften an alte Ressentiments gegen die ‚Masse‘ an ,
die Burschenschafter schon vor dem Krieg gegen die Demokratie zu Felde ziehen ließen.
Den ideologischen Kern dieser Tradition bildet das Ideologem der soldatisch-heroischen
Männlichkeit. Dieses burschenschaftliche Männlichkeitsbild erhebt Durchsetzungskraft
und Stärke zu Idealen um ihrer selbst willen , forciert Durchgreifen und Entscheiden statt
Dialog und Verhandlung und stellt dem demokratischen Interessenausgleich ein Prinzip
des Alles-oder-nichts gegenüber. An die Stelle des Kompromisses der Vielen tritt die Ent-
scheidung der Wenigen : der männlichen Eliten.35 Demokratie wird in dieser Sichtweise
mit Schwäche und diese mit Weiblichkeit assoziiert. Im Männlichkeitsideal liegt damit
der Schlüssel zum Verständnis der historischen burschenschaftlichen Tendenz zum Au-
toritarismus , der Frontstellung der Burschenschaften gegen Demokratisierung und ihrer
Skepsis noch gegenüber Demokratie als Form ( vgl. Kapitel III.8.4 ).
VI.2.2 Oppositionell aus Prinzip?
„Wem es nicht ein Genuß ist , einer kämpfenden Minderheit anzugehören , der ver-
dient nicht , zu siegen“, erklärte Teutonia Wien am 9. 8. 2012 auf ihrer facebook-Seite –
und umschrieb damit treffend das Selbstbild der Burschenschaften in Österreich nach
1945. Wie in Kapitel III.6.2 ausgeführt , war dieses wesentlich geprägt von einer Hal-
tung der Opposition nicht nur regierenden Parteien , sondern auch dem von ihnen er-
richteten ‚System‘ gegenüber , wenn nicht gar gegenüber dem österreichischen Staat an
sich. Wenngleich nicht wenige Burschenschafter sich auf individueller Ebene nach 1945
schnell und trefflich in die österreichische Nachkriegsgesellschaft integrieren konnten
bzw. von dieser integriert wurden , wollte man in burschenschaftlichen Kreisen kollek-
tiv doch keinen Frieden mit einem Österreich machen , zu dessen Staatsraison es zählte ,
sich nicht als ‚deutsch‘ zu bekennen und seine vermeintlich fähigsten Köpfe ( die Bur-
schenschafter selbst ) von politischen Machtpositionen fernzuhalten. Der Proporz als
institutionalisierte Reduzierung von Karrierechancen für nicht zur Anbiederung an die
Großparteien bereite Deutschnationale begünstigte aufseiten dieser zusätzlich die Kul-
tivierung eines prononciert oppositionellen Selbstverständnisses.
Die Einrichtung in der Rolle der grundsatzfesten Außenseiter36 ging auch mit einer
strategischen Neuausrichtung einher , die in der Diktion Joachim Raschkes als Über-
34 Alemannia 1962 , 25.
35 Vgl. Schiedel 2007 , 33 f.
36 Zu besonders deutlichem Ausdruck kommt diese Haltung in jener Schrift Günther Berkas von 1964 , die
dieser nur an deutschnationale Funktionäre und opinion leaders adressiert hatte ( bezeichnender Titel : ‚Sind
wir die Letzten ?‘ ). Berka notiert darin selbst , dass eine einschlägige Selbstwahrnehmung im österreichi-
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619