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II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration
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Seite. Der Aufstieg des Nationalsozialismus und dessen Krieg erscheinen als Folge von
Versailles und St. Germain , als Ausdruck des Bemühens um die Wiederherstellung ei-
ner gerechten Ordnung der Staatenwelt , das letztlich etwas aus dem Ruder gelaufen sei.
Auch bei der Zurückdrängung ‚jüdischen Einflusses‘ in den deutsch beherrschten Ge-
bieten sei das NS-Regime lediglich übers Ziel hinausgeschossen. Bei der Bemessung
deutscher Schuld seien die Unversöhnlichkeit der federführenden Mächte in den Pa-
riser Vorortverhandlungen , die Kriegsverbrechen alliierter Armeen und die An maßung
der jüdischen Emanzipation in Rechnung zu stellen ; burschenschaftliche Verantwort-
lichkeit wäre analog dazu u. a. mit katholischem Antisemitismus und sozialdemokra-
tischer ‚Anschluß‘-Befürwortung in Beziehung zu setzen und verrinne inmitten der
jubelnden Massen vom Heldenplatz zur Marginalie. Eine zumindest anfängliche Un-
terstützung des Nationalsozialismus als einer Art deutscher Emanzipationsbewegung
im Inland wie im Weltmaßstab sei auch retrospektiv zumindest nachvollziehbar. An
der Macht habe die Bewegung allerdings burschenschaftliche Ideale nur zum Teil ver-
wirklicht , zum Teil sie durch Übersteigerung ad absurdum geführt. Sofern Burschen-
schafter Schuld auf sich geladen hätten , sei dies auf Irreführung und Missbrauch ihrer
Ideale durch Dritte zurückzuführen. Von Hitler um die Erfüllung jener Träume betro-
gen , um derentwillen sie ihm den Weg geebnet hatten , erscheinen sie letztlich selbst als
Opfer – wie sie auch um die Jahrhundertwende zu Opfern slawischer Nationalismen ,
1918 zu Opfern von Siegerwillkür und 1945 zu Opfern von Siegerjustiz geworden seien.
II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik
Während die bisher behandelten Stellungnahmen Positionierungen von Einzelpersonen
darstellten , steht in diesem Abschnitt ein Textgenre im Mittelpunkt , das per se einen
höheren Repräsentativitätsanspruch aufweist : Reden , wie sie im Zuge burschenschaft-
licher bzw. korporationsstudentischer ‚Gefallenenehrungen‘ oder ‚Heldengedenken‘ ge-
halten wurden. Auch diese wurden von Einzelnen verfasst , die dabei aber
– je nach Ver-
anstaltung
– als Vertreter ihres Bundes oder gar des WKR auftraten. Die im Folgenden
zitierten Ansprachen ( vgl. für eine vollständige Auflistung einschließlich der zur Zi-
tation verwendeten Kürzel das Archivverzeichnis im Anhang ) wurden allesamt an der
Universität Wien gehalten , wo der WKR in der Phase des Wiederaufbaus der Verbin-
dungen jährlich im November eine solche ‚Heldenehrung‘ zu veranstalten pflegte. Dazu
kamen die Gedenkakte einzelner Bünde im Rahmen ihrer ( zumeist runden ) Stiftungs-
feste.237 Die erste Gedenkfeier des WKR fand am 29. 11. 1952 statt und stellte gleichzeitig
237 Das Gedenken an die gefallenen Bundesbrüder zählt
– ob an der Universität begangen oder anderswo
–
zum festen Programm jedes Stiftungsfestes. Auch gehören entsprechende Gedenktafeln bzw. Gefalle-
nen-Listen zur Standardausstattung von Buden , Chroniken und Festschriften.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619