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II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration
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nen zumindest eine kritische Bemerkung beizufügen. Vielmehr hält der Chronist dem
Autor zugute , er habe sich um „eine differenzierte Betrachtung mit Augenmaß“ be-
müht.362 Der Umfang und die Art der Wiedergabe des Rochowanski-Texts in einer ( der
Bekräftigung kollektiver Bundidentität gewidmeten ) Publikation legen nahe , dass es
sich um Positionen handelt , die bundintern jedenfalls als Kompromissformeln akzep-
tabel schienen. Erwähnenswert ist zudem , dass Wissen und Werten des im August 1945
geborenen Rochowanski über den Nationalsozialismus zu einem wohl wesentlichen Teil
als Ergebnis seiner burschenschaftlichen Sozialisation anzusehen sind. Ungeachtet des-
sen bleibt abschließend zu vermerken , dass die 1980er-Jahre den Obergermanen offen-
bar wenig ( kurzfristige ) Veränderung auf dem Gebiet der Vergangenheitsbewältigung
bescherten , sie aber wohl ein bis dato gemiedenes Feld offener betreten ließen als bis-
her.363 Ähnliche Diskussionen in anderen Bünden sind , wie eingangs erwähnt , in den
verfügbaren Quellen nicht dokumentiert – was freilich ihre Existenz nicht widerlegt.
II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende
( Auch ) in puncto ihres Verhaltens zum historischen Nationalsozialismus ist das Be-
harrungsvermögen der Burschenschaften in Österreich erstaunlich ausgeprägt. Verant-
wortung für die unter breiter burschenschaftlicher Beteiligung verübten ( und durch die
Pionierleistung burschenschaftlicher ‚alter Kämpfer‘ erst mit ermöglichten ) national-
sozialistischen Verbrechen wird , trotz eines im Sinne von Traditionsverbundenheit
generell hohen burschenschaftlichen Geschichtsbewusstseins , bis heute kaum über-
nommen. Die Begründung dieser Haltung zeugt von einer fortbestehenden , bemer-
kenswerten Unbekümmertheit im Umgang mit dem ‚Zivilisationsbruch Auschwitz‘ und
dem deutschen Vernichtungskrieg : „Nach dem schrecklichen Ende des zweiten Welt-
krieges erkannte man , dass man wohl niemand für diese Katastrophe mitverantwort-
lich machen könne , der ehrlichen Herzens ein einiges Deutschland angestrebt hatte.“364
Indem die Burschenschaften in Österreich sich über Jahrzehnte zu den Fortschrit-
ten der geschichtswissenschaftlichen und geschichtspolitischen Diskussion nicht an-
ders als scharf ablehnend oder ignorant zu verhalten wussten , gerieten zumindest Teile
von ihnen sukzessive in ein sektiererisches Fahrwasser , das Verrat selbst noch bei en-
gen Gesinnungsfreunden witterte. Einzelne Verbindungen verzichteten zur Vermeidung
362 Ebd., 128.
363 Nach dem Tabubruch von 1983 wurde nicht nur 1985 , sondern 1987/88 erneut „( a )n einem Alther-
ren-Abend ( … ) über ‚Nationalsozialismus und Burschenschaft‘ “ diskutiert , wobei „( e )inige Alte Her-
ren ( … ) ihre Erlebnisse in jener Zeit“ schilderten ( ebd., 141 ). Unklar bleibt , ob dabei kritische Auf-
arbeitung der eigenen Involvierung betrieben wurde oder eher nostalgisches Erinnern dominierte.
364 So Stiria Graz unter http://stiria-graz.at/index.php?option=com_content&view=article&id=15&Ite-
mid=17.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619