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II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration
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Fehler der Burschenschaften auf dem Weg dorthin einzugestehen und daraus Konse-
quenzen für ihr politisches Denken und Handeln in der Nachkriegsgegenwart abzu-
leiten , etwa hinsichtlich der Bestimmung des ‚Vaterlandes‘ ( das nun in Ablösung des
imperialen Traums aus dem ‚Lied der Deutschen‘ mit der BRD gleichgesetzt wurde ) oder
einer kategorischen Zurückweisung des Antisemitismus.295 Als ein wichtiger Erklä-
rungsfaktor für diesen Unterschied ist zum Ersten das unterschiedliche gesellschaft-
liche Umfeld in der BRD anzusehen , die auf offizieller Ebene nach 1945 gedenkpolitisch
auf eine Strategie der offensiven Verantwortungsübernahme anstelle der österreichi-
schen Selbstexkulpation setzte. Ebenso wichtig erscheint allerdings der Umstand , dass
die reichsdeutschen Burschenschafter sich weniger geschlossen als die Österreicher der
NS-Bewegung angeschlossen hatten und teilweise sogar im organisierten Widerstand
aktiv gewesen waren.296 Dies eröffnete den bundesdeutschen Burschenschaftern nach
1945 die Möglichkeit , sich in die Kontinuität einer burschenschaftlichen Traditions-
linie zu stellen , die nicht oder jedenfalls in geringerem Maße durch den Nationalsozi-
alismus belastet war.
II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967)
In diesem und dem folgenden Abschnitt steht eine häufig
– und auch im Rahmen des
vorliegenden Werkes
– als für österreichische Verhältnisse vergleichsweise ‚liberal‘ vor-
gestellte Burschenschaft im Mittelpunkt : die Oberösterreicher Germanen in Wien. 1967 ,
anlässlich ihres 100. Stiftungsfestes erschien der erste Teil ihrer ( nur dem internen , d. h.
bundesbrüderlichen Gebrauch zugedachten ) Chronik. Der hohe Stellenwert des Krie-
ges für die burschenschaftliche Identitätsbildung nach 1945 wird darin schon in rein
quantitativer Hinsicht deutlich : Rund ein Drittel des gesamten , 100 Jahre abdeckenden
chronikalischen Teils der Schrift wird sechs bestimmten Jahren gewidmet
– noch dazu
solchen , in denen die Burschenschaft gar nicht als solche , sondern als Kameradschaft
‚Stefan Fadinger‘ bestand : den Jahren 1939 bis 1945. Den Großteil dieser rund fünfzig
Seiten füllen Auszüge aus Feldpostbriefen der eingerückten Obergermanen297, die be-
reits im Krieg von einem Alten Herrn gesammelt und in Form eines Mitteilungsblat-
der auf eine Rechtfertigung des Krieges verzichtet , der Nationalsozialismus recht eindeutig verworfen
und die korporierten Gefallenen als Verführte dargestellt werden.
295 Zu den DB-internen Kontroversen um den ‚Vaterlandsbegriff‘ vgl. Kuhn 2002 , 83 , 99–101 und 115–120.
Zur Frage des Antisemitismus in der DB aus einer burschenschaftlichen Perspektive vgl. Kaupp 2004
( hier v. a. : 13 zur Nachkriegszeit ).
296 Vgl. Kaupp 1997.
297 Diese Kurzform ist sowohl in burschenschaftlichen Kreisen gebräuchlich als auch als Eigenbezeichnung
gängig , wie u. a. in der URL der bundeigenen Website ( www.obergermanen.at ) zum Ausdruck kommt.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619