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128 Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege
Route für die britischen Pilger und Pilgerinnen auch in späterer Zeit schlägt sich in
den zahlreichen angelsächsischen Patrozinien entlang des Weges über den Mont
Cenis nieder : St. Georg, St. Colomban, St. Alban und heiliger Thomas von Can-
terbury.63
An der Route über den Großen St. Bernhard bildete die Abtei St. Maurice eine
wichtige Station für die Rompilger. Die Reliquien der thebäischen Legion und des
heiligen Mauritius sorgten dort für ein wachsendes Pilgeraufkommen am Ort selbst.
Unter Karl dem Großen wurde daher ein eigenes Hospiz für die religiösen Reisen den
errichtet.64 Kriege, politische Spannungen und Banditen waren auch für die Wallfah-
rer und -fahrerinnen ein Problem. Die Zentral- und Ostalpen wurden Anfang des
10. Jh. von den Ungarn bedroht, diese plünderten unter anderem die Abtei St. Gal-
len. Die zahlreichen kriegerischen Aktivitäten in den Westalpen, die für Mitte und
Ende des 6. Jh. überliefert sind, betrafen sicherlich auch die Pilger und Pilgerinnen.
Die oben schon genannten räuberischen Sarazenen bedrohten ab dem Ende des 9.
Jh. die Wege über die Westalpen und plünderten Reisende und Pilgerunterkünfte.65
Doch genau in dieser Zeit ging der heilige Gerald von Aurillac (855–909) siebenmal
über die Alpen, um nach Rom zu pilgern66, er wurde nicht belästigt.
Pilgernde Menschen waren für die großen Übergänge der West- und Zentralal-
pen ein alltäglicher Anblick. Die Vita des heiligen Gallus erzählt indirekt davon.
Als der Heilige Anfang des 7. Jh. vor weltlicher Ehre flüchten wollte, floh er von
seiner Zelle aus mit Begleitern über die Berge in das Rheintal nach Grabs. Um
nicht erkannt zu werden, verkleideten sie sich als Pilger, die von weither gekom-
men waren. Sie gingen dort zu einem Diakon, der sie „[…] domum introduxit, nec
non et septem diebus quasi longinquis peregrinis ministravit, illis se fingentibus de
longinquo esse“, also die Fernreisenden eine Woche lang bewirtete.67
Ein Mensch aus fernen Landen fiel also im Alpenrheintal nicht weiter auf. Die
Korrespondenz des Bonifatius ist ein beredtes Zeugnis über die zahlreichen Men-
schen aus dem angelsächsischen Raum, darunter viele Frauen, die nach Rom pil-
gerten.68 Im Jahr 744 ging etwa die Edle Alemannin Beata mit Unterstützung des
ungewöhnlich, dass Frauen auch weite und langjährige Pilgerreisen unternahmen, es sind einige
Berichte überliefert. Donner, Pilgerfahrt 68 ff.
63 Rousset, Au pays de la Meije 115.
64 Leguay (Hg.), Savoie 349 ; Sociétés savantes de Savoie, Echanges et voyages 67.
65 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 298 (G. Barruol) ; Fixot, Provence 487 ff.; Senac, Musulmans
et Sarrasins 51.
66 Vita Sancti Geraldi II 17 ; LexMa „Geraldus v. Aurillac“ (J.-C. Poulin).
67 Vita sancti Galli I, 17.
68 Nolte, Peregrinatio-Freundschaft-Verwandtschaft 153.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361