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174 Menschen in den Alpen
nutzte dabei oft die Nebenwege. In seiner Vita wird erzählt, wie der Heilige in einer
abgelegenen Gegend des Gebirges von Räubern überfallen wird, die er jedoch zum
Christentum bekehren konnte.6 Übrigens ist aus diesem Grund das Auftreten des
Martinspatrozinium in den Alpen nicht immer als Ausdruck fränkischer Herrschaft
zu deuten – aufgrund seiner Vita galt er nämlich auch als „Alpenheiliger“.7
Ein weiterer Faktor für die Verbreitung der Religion war das römische Heer, in
dem zahlreiche Menschen aus dem schon stark christianisierten Osten des Reiches
dienten. Wiederum kann eine Vita dies am besten veranschaulichen : Die thebäische
Legion war gemäß der Legende ein schon christlicher Teil eines Heeres aus Ägypten,
das unter Kaiser Maximian um das Jahr 300 die Alpen querte. Im Wallis weigerten sich
die Soldaten Christen zu verfolgen oder – je nach Vita – an heidnischen Opfern teil-
zunehmen. Daraufhin ließ der Kaiser die gesamte Legion umbringen. Diese Märtyrer
wurden seither an dem angeblichen Ort ihres Todes verehrt und bildeten den Kern
der rund 200 Jahre später hier gegründeten, mächtigen und reichen Abtei St. Maurice
d’Agaune.8 Die Historizität der Geschichte ist natürlich bestreitbar, tatsächlich gab es
jedoch im römischen Heer zahlreiche christliche Soldaten aus dem Nahen Osten.9
Ab dem 5. Jh. wird auch in den restlichen Alpen eine Bistumsorganisation fassbar.
In den Westalpen waren das die Bistümer Augusta Praetoria/Aosta (ab 579), das
heutige Moûtiers (Darantasia, erste Erwähnung 450) und Morienna/Saint-Jean-de-
Maurienne (ab 561).10 Dieser Teil der Westalpen sowie die Stadt Brigantio/Briançon
am westlichen Fuß des Mont Cenis gehörten bis 794 zum Erzbistum Turin, ge-
gründet 398. Der südliche Alpenabhang wurde ebenfalls Turin zugeordnet, Zentrum
war das von 590–902 existierende Bistum Pedo (Borgo S. Dalmazzo). Die Seealpen
hingegen beherbergten ab 439 das einzige Erzbistum der Alpen : Eburo dunum/Em-
brun, mit zahlreichen kleinen Bistümern. Diese weisen eine starke Fluktuation auf,
Eturamina/Thorame-Haute und Salinae/Castellane verschwanden noch mit dem
5. Jh., im Jahrhundert ihrer Gründung, Cemenelum/Cimmiez ging im 6. Jh unter.11
In der Poebene war das Christentum ebenfalls schon sehr früh verbreitet. In
Mailand trat Ende des 2. Jh. ein Bischof Anatolius auf.12 Wirklich bedeutend für
6 Sulpicius Serverus, Vita sancti Martini 5.
7 Sociétés savantes de Savoie, Échanges et voyages 58 f.
8 Der Heilige war Offizier der Legion. Die Vita wurde schon Mitte des 5. Jh. vom Bischof Eucherius von
Lyon aufgeschrieben. MGH SS rer. Merov., S. 20 ff, in der Folgezeit wurden viele weitere Heilige mit
der thebäischen Legion assoziiert, siehe dazu Bütler, Die thebäische Legion. Zur Abtei siehe S. 223 f.
9 Eine ägyptische Einheit im Heer des Maximian ist daher denkbar. Zufferey, Die Abtei Saint-Maurice 26.
10 Jourdain-Annequin, Atlas culturel 230 (G. Barruol) ; Guyon, Provence 382 ff.
11 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 251 (H. Falque-Vert).
12 LexMa „Mailand“ (Ambrosioni).
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361