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322 Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen
Die Bulgaren verloren und flüchteten zunächst zu den Baiern. Doch der Herzog
der Baiern erhielt vom fränkischen König Dagobert die Anweisung, diese Bulgaren
umzubringen. Dies ist übrigens auch ein Hinweis darauf, dass der bairische Fürst
zu dieser Zeit stärker vom fränkischen Reich abhängig war. Ein Teil der Bulgaren
konnte unter der Führung eines Alciocus in die marca Vinedorum eines Dux Walluc
flüchten.125 Rund 30 Jahre später erschien ein bulgarischer Fürst namens Alzeco
am Hof des langobardischen Königs und bot seine Dienste an.126 Falls die Ähnlich-
keit der Namen kein Zufall ist, sondern tatsächlich der gleiche Bulgare gemeint ist,
dann bedeutet das, dass sich dieses unabhängige Grenzland der Wenden irgendwo
zwischen Baiern, Langobarden und Awaren befunden hatte. Dies trifft nur auf den
Raum des ehemaligen Binnennoricums zu. Der Dux Walluc wäre demnach ein
(proto-)karantanischer Fürst gewesen.127 Dazu kommt noch die sprachliche Nähe
zu dem in der Conversio erwähnten Fürst Waltunc, die bedeutet, dass es sich hier
um einen Titel handeln könnte.128 Die Flucht der oben genannten Bulgaren in die
marca Vinedorum des Fürsten Walluc zeigt außerdem, dass zur besagten Zeit diese
Region nicht zum Reich der Awaren gehörte. Eine Abhängigkeit zum mächtigen
Fürsten Samo scheint daher wahrscheinlich, da die Region sich wohl kaum alleine
gegen das die Bulgaren verfolgende awarische Heer hätte wehren können.129
Spätestens 660 änderten sich mit den Tod Samos die Verhältnisse erneut. Dies
könnte mit ein Grund dafür sein, warum plötzlich die erwähnten Bulgaren im
Langobardenreich erschienen, denn die Awaren konnten nun wieder Einfluss auf
einige Teile des ehemaligen Samoreiches nehmen. Davon betroffen war auch der
Ostalpenraum, und die ehemalige bulgarische Opposition musste wiederum flie-
hen.130
125 Fredegar IV 72 ; Ziemann, Vom Wandervolk zur Großmacht 130 ff.
126 Paulus Diaconus Hist. Lang. V 29.
127 Pohl, Awaren 261, 268 ff.
128 Kronsteiner rekonstruierte ein slaw. *vladyka mit der Bedeutung „Herrscher“. Wolfram, Conversio
95 ; Pohl, Awaren 270 ; Kahl, Der Staat der Karantanen 140 f.
129 Fredegar IV 68 ; Pohl, Awaren 260 f.; Wolfram, Grenzen und Räume 301 f. Kurios ist hingegen die
Meldung in der Conversio, nach der Karantanien zum Reich Samos gehört habe (Conversio c. 4 ed.
Wolfram 41) Entgegen der Version Fredegars ist Samo in der Conversio ein Slawe und wird vom
fränkischen König Dagobert besiegt. Wolfram (Conversio 74 u. 100) identifizierte das Vorbild dieser
Nachricht als die von Fredegar abhängige Gesta Dagoberti I. regis Francorum, die wie auch die
Conversio, die Gleichsetzung von Ungläubigen mit Hunden kennt. Gleichzeitig ist in dieser Chronik
der oben genannte Fürst Walluc nicht erwähnt. Der Verfasser der Conversio kannte also mit größter
Wahrscheinlichkeit die Geschichte Fredegars nicht, denn ansonsten hätte er wohl den Fürsten Wal-
luc in seine Geschichte der Karantanen eingefügt. Die Absicht lag wohl darin, einen fränkischen
Anspruch auf Karantanien zu untermauern.
130 Pohl, Awaren 269.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361