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I.3 Methodische Erläuterungen
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historische Untersuchungen ergibt sich wiederum aus dem zentralen Stellenwert , den
er der Veränderung und Beharrung von Handlungsmustern über die Zeit beimisst.34
Die Maxime , für Neuentdeckungen in den Daten offen zu sein , prägt den gesamten
Forschungsprozess. Nicht konkrete Hypothesen stehen am Beginn , sondern „vielmehr
ein Untersuchungsbereich
– was in diesem Bereich im Lichte des Erkenntnisinteresses
relevant ist , wird sich erst im Forschungsprozeß herausstellen“.35 Die Handlungstheorie
des symbolischen Interaktionismus und die ideologiekritisch-begrifflichen Erörterun-
gen in Abschnitt I.5 liefern das theoretische Grundgerüst , weitere theoretische Bezüge ,
u. a. aus der Sozialpsychologie und der kritischen Männlichkeitsforschung , werden im
weiteren Verlauf ad hoc eingeführt. Auch ergänzende methodische Hinweise erfolgen
an der je relevanten Stelle des Buches. Im Folgenden werden die Grundstruktur und
die grundlegenden Verfahren meines empirischen Vorgehens gerafft vorgestellt. Ich
folge dabei Siegfried Jägers Empfehlung , in der Beschreibung von Forschungsdesigns
„keine umfassenden Theorien und Methoden ‚nach( zu )bete( n )‘ “, sondern „nur das ( zu )
explizier( en ) ( … ), was für die betreffende Arbeit wichtig ist“.36
In meiner Arbeit an burschenschaftlichen Quellen und sonstigem Material wur-
den Auffälligkeiten ( im Sinne wiederkehrender Muster ) im Denken und Handeln der
untersuchten Akteure mit Codes belegt. Diese Codes konnten – v. a. in einem frühen
Stadium – die Gestalt bloßer thematischer Markierungen aufweisen ( z. B. ‚Südtirol‘ ,
‚Hochschulpolitik‘ ). Eigentliche Absicht war es jedoch , konzeptuelle Codes ( z. B. ‚Die-
nen‘ , ‚Individualität‘ , ‚Konflikt‘ ) zu formulieren , die geeignet wären , als Theoriebausteine
zu fungieren.37 In den Quellen unmittelbar auftauchende Bezeichnungen , die ein be-
stimmtes Konzept in aussagekräftiger Weise benannten ( z. B. ‚Wehrhaftigkeit‘ , ‚Ehre‘ ),
wurden als sogenannte in vivo codes übernommen. In der Konfrontation mit immer
weiterem Material wurden manche Codes verworfen , während andere sich als taug-
lich erwiesen , zum Verständnis burschenschaftlichen politischen Handelns in Öster-
reich nach 1945 beizutragen , und sukzessive zu tragfähigen theoretischen Kategorien
verdichtet werden konnten. Verdichtung meint dabei im Wesentlichen Ausdifferenzie-
34 Zu Prozessaspekten in der Grounded Theory vgl. ebd., 23 , 85 , 100 , 118–131 und 140.
35 Ebd., 8. Der Verzicht auf Hypothesenformulierung entbindet freilich nicht davon , sich vorhandene Vor-
annahmen bewusst zu machen : zum einen , um für die Beeinflussung von Forschungsentscheidungen
durch sie sensibel zu sein , zum anderen , um das Sampling im Sinne der gezielten Suche nach Indizien
anzuleiten , die den Vorannahmen widersprechen.
36 Jäger 2004 , 196 ; vgl. auch Corbin/Strauss 1996 , 211.
37 Die Benennung des Codes stellt in solchen Fällen bereits den ersten Theoretisierungsschritt dar und
wird idealerweise durch das Festhalten erster konzeptueller bzw. vom konkreten Fall abstrahierender
Notizen ergänzt. Das Festhalten solcher Überlegungen in Memos ( Forschungsprotokollen ) beglei-
tet den gesamten Forschungsprozess. Die zeitliche Aufspaltung von Datenerhebung und -analyse so-
wie die Isolierung von Textpassagen aus ihrem inneren und äußeren Kontext können so weitgehend
hintangehalten werden.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619