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I. Einleitung
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sozialen Interessen
– und in Folge auch seine politisch-ideologischen Positionen
– sich
jenen der vormals herrschenden Schichten an.103 Grebing macht den doppelten Druck
durch Adel und ArbeiterInnen sowie die Korrumpierung durch „Feudalisierung“ für
das Einschwenken auch liberaler Teile des Bürgertums in den konservativen Block ver-
antwortlich.104 Diese Entwicklung erfasste auch die Burschenschaften als wesentliche
Träger des frühen Liberalismus im deutschsprachigen Raum , wobei die Integration in
der Donaumonarchie aufgrund der burschenschaftlichen Frontstellung gegen das dor-
tige Herrscherhaus weniger reibungslos verlief als im Deutschen Reich.105 So konsta-
tiert der Burschenschafter Scheichl eine bereits im 19. Jahrhundert vollzogene „Um-
wandlung der Liberalen von 1848“
– einschließlich der Burschenschafter
– „in eine mehr
oder minder konservative Gruppe“. Diese habe zwar gegen Kirche , Adel und Kaiser-
haus opponiert , „aber doch eifersüchtig die Stellung des Bürgertums zu bewahren ver-
sucht( ) und Neuerungen keinen Eingang in ihr Denken gewährt( )“.106
Mit dem Konservatismus und dessen rechtsextremer Übertreibung verbindet Li-
beralismus seit der Machtergreifung des Bürgertums das Streben nach Absicherung
der bestehenden Klassenverhältnisse. Allerdings bewahrt er in seinen Postulaten der
Gleichheit und individuellen Freiheit einen ( wie auch immer widersprüchlichen )
emanzipatorischen Kern , der ihn etwa in puncto Geschlechtergleichstellung wand-
lungsfähiger machte als die beiden anderen. Der liberale Individualismus geht mit
größerer Toleranz gegenüber abweichenden Lebensentwürfen ( im Rahmen des Im-
perativs der Selbstverwertung ) und einer niedrigeren Bereitschaft zur Ethnisierung
sozialer Konflikte einher. Das liberale Misstrauen gegenüber dem Staat bedingt ein
stärker ausgeprägtes Grundrechtsbewusstsein und eine größere Widerstandsfähigkeit
gegen autoritäre Tendenzen. Fritzsches Beurteilung nach endet die Fortschrittlich-
keit des Bürgertums historisch allerdings „stets da , wo ( sie ) an das Klasseninteresse
stieß“.107 Aufgrund seiner Ausrichtung an Eigentumsinteressen ist auch der Libe-
ralismus – vgl. das zuvor angeführte Marcuse-Zitat – grundsätzlich zur Selbstauf-
hebung bereit. „Im Krisenfall ist das Pendel bisher immer von der Freiheit aller weg
ausgeschlagen.“108
103 Vgl. Fritzsche 1998 , 269–271 und 282.
104 Vgl. Grebing 1973 , 199 f. Erwähnte Feudalisierung konnte Bürgersöhne in den deutschsprachigen Län-
dern nicht nur über eine Offizierslaufbahn , sondern etwa auch über das Verbindungswesen ereilen –
bzw. wurde von ihnen maßgeblich über diese beiden Wege angestrebt.
105 Motiviert war diese Frontstellung allerdings
– wie etwa die gleichzeitige Bismarck-Begeisterung durch
die völkischen Verbindungen Österreichs zeigt – gerade nicht liberal , sondern durch eine ideologische
Vorrangstellung des ( Deutsch-)Nationalismus ( vgl. Cerwinka 2009 , 95 ).
106 Germanenmitteilungen , März 1967 , 16.
107 Fritzsche 1998 , 282 ( vgl. auch 297 ). Vgl. dazu historisch für Österreich im 19. Jahrhundert Rumpler 1997 ,
422–425.
108 Döhn 1998 , 227.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619