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I.5 Zentrale Begrifflichkeiten
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Von burschenschaftlicher Seite findet der Liberalismus-Begriff in Österreich nur
zurückhaltend Verwendung. Soll er der Selbstbeschreibung dienen , wird er als ergän-
zungsbedürftig angesehen ( ‚national-liberal‘ ). Lieber greift man spätestens seit 1945 aber
ohnehin zu einer alternativen Eigenbezeichnung , jener als ‚freiheitlich‘ ( der allerdings
meist ebenfalls ein klärendes ‚national‘ vorangestellt wird ). Begriffsgeschichtlich ist hier
auf einen erheblichen Bedeutungswandel zwischen Erster und Zweiter Repu blik hin-
zuweisen. So fand die Bezeichnung zunächst gerade unter jenen nach heutigem Ver-
ständnis liberalen ( wenn auch deutschnationalen ) Korporationen Verwendung , die sich
vom völkischen Fanatismus ihrer verbindungsstudentischen Umgebung abgrenzten.109
Die Diskreditierung von Bezeichnungen wie ‚völkisch‘ durch den Nationalsozia lismus
moti vierte nach 1945 jedoch andere Kräfte zur Aneignung des Begriffes. In enger zeitli-
cher Nähe gründeten sich in den 1950er-Jahren ein Ring Freiheitlicher Studenten ( RFS )
um den Rechtsextremen Norbert Burger , eine Freiheitliche Sammlung Österreichs um den
Rechtsextremen Fritz Stüber und eine Freiheitliche Partei Österreichs um Anton Rein-
thaller , einen vormaligen Minister im ‚Anschlußkabinett‘ Arthur Seyß-Inquarts. Das
Wiener Corps Marchia
– als eine der wenigen liberalen , nicht-antisemitischen Verbin-
dungen , die in Österreich nach 1945 wiedererrichtet worden waren – sah sich vor die-
sem Hintergrund 1962 veranlasst , ein Schreiben an Unterrichtsminister Drimmel zu
richten. Darin kommunizierten die Marchen ihren Beschluss ,
von der Bezeichnung ‚freiheitlich‘ , die durch Tradition uns eigen war , Abstand ( zu ) nehmen
( … ), weil in der zweiten Republik Gruppen , die in ihren Reihen noch immer antisemitische
und nazistische Mitglieder beherbergen , das Wort ‚freiheitlich‘ in ihrem Namen absichtlich
angenommen haben , um zu verwirren.110
Während ‚freiheitlich‘ mit liberal den emphatischen Freiheitsbezug teilt , wird Freiheit
im ersteren Fall anders bestimmt : weniger als Freiheit von äußeren Zwängen denn als
Freiheit zu , namentlich zum Dienst an der ( Volks-)Gemeinschaft , deren Freiheit je-
ner des Individuums tendenziell übergeordnet wird ( vgl. zum ‚freiheitlichen‘ bzw. bur-
schenschaftlichen Freiheitsbegriff die Kapitel III.8.5. und V.3.1. ).
Angesichts dessen , der angesprochenen feindlichen Übernahme der Bezeichnung
und des ihr zugrunde liegenden euphemistischen Bedürfnisses findet der Begriff ‚frei-
heitlich‘ in diesem Buch nur unter Anführungszeichen Verwendung ( außer in Fäl-
len , wo er als technischer Begriff – zur Bezeichnung der FPÖ oder des RFS – dient ).
Für die Vornahme politisch-ideologischer Verortungen greife ich auf ein alternatives
Konzept zurück : jenes des ‚Völkischen‘ , das als kritischer Analysebegriff im Kontext
109 Vgl. Stimmer 1997 ( Band I ), 557.
110 AUW , S 259.5 , Brief vom 2. 1. 1962 ( Abschrift ), 1 f.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619