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II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration
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jekt nicht nur mittrug , sondern auch aktiv und in führenden Stellungen mitgestaltete ,
ist damit noch keine verlässliche Aussage über die Haltung der breiten Masse der Ver-
bindungsstudenten getroffen. Empirische Forschung , die hierzu repräsentative Da-
ten lieferte , ist dünn gesät4 , erbringt jedoch recht eindeutige Befunde. Gehler ermit-
telte für eine Reihe von Innsbrucker Verbindungen einen NSDAP-Mitglieder-Anteil
von durchschnittlich 77,2 Prozent im Fall der Burschenschaften , 75,9 Prozent bei den
Corps und rund 40 Prozent im Fall des katholischen Österreichischen Cartellverban-
des ( ÖCV ).5 Annähernd die Hälfte der burschenschaftlichen Parteigenossen war be-
reits vor dem Parteiverbot 1933 der NSDAP beigetreten , während dies bei katholischen
Korporierten nur vereinzelt der Fall gewesen war.6 Nicht weniger als 27,4 Prozent der
NSDAP-Burschenschafter waren außerdem in der SS organisiert ( Corps : 21 % , ÖCV :
7 % ).7 Generell sei „die Affinität der österreichischen Korporationsstudenten zum or-
ganisierten Nationalsozialismus , vor allem bei den ‚völkisch-schlagenden‘ Verbindun-
gen , viel stärker als bei den reichsdeutschen ausgeprägt“ gewesen.8
Frühe Hinwendung und Pioniertätigkeit
In diesen hohen Beitrittswerten bildet sich ein Umstand ab , der für die Entwicklung
der Korporationen nach 1945 und ihre spezifische Form der Vergangenheitsbewälti-
gung bedeutsamer war als die Mitgliedschaften an sich : die weitreichende ideologi-
sche Übereinstimmung , die Korporierte überhaupt erst in die Parteigliederungen und
Wehrorganisationen geführt hatte. Der Beginn dieses Weges lässt sich aufgrund der
autoritären und antisemitischen Stoßrichtung des völkischen Nationalismus bereits
mit der Entstehung der Burschenschaften , spätestens aber um 1880 ansetzen ( vgl. dazu
in theoretischer und historisch-konkreter Perspektive die Kapitel III.7 und III.8.1 ). In
der Zwischenkriegszeit erlangten die immer schon vorhandenen antidemokratischen
und antisemitischen Tendenzen unumschränkte Dominanz im völkischen Verbin-
dungswesen Österreichs , das sich zunächst der Heimwehr-Bewegung – insbesondere
in ihrer steirischen Ausformung – und schließlich konsequenterweise dem National-
4 Im Wesentlichen zu nennen sind die Studie Michael Gehlers zu Innsbrucker ( Verbindungs-)Studenten
in der Zwischenkriegszeit ( vgl. Gehler 1990 ) und Derivate dieser Arbeit ( vgl. Gehler 1994 , Gehler 1997a )
sowie Gernot Stimmers Monumentalwerk zu österreichischen Funktionseliten in historischer Perspek-
tive ( vgl. Stimmer 1997 ). Stimmer wird von Cerwinka ( 2009 , 93 ) als Angehöriger des deutschnational
ausgerichteten Wiener Akademischen Turnvereins ( WATV ) geführt.
5 Gehler 1997a , 143. Aufgrund der gerade auch innerösterreichisch hohen studentischen Mobilität der Zwi-
schenkriegszeit weisen die für Innsbruck ermittelten Ergebnisse Gehler zufolge eine gewisse Repräsen-
tativität für die österreichische Gesamtsituation auf ( vgl. ebd., 132 f. ).
6 Vgl. ebd., 144.
7 Vgl. ebd., 147.
8 Ebd., 155.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619