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II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘
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Im Bereich legislatorischer Maßnahmen brachte das Nationalsozialistengesetz 1947
für manchen Korporierten Verbesserungen , indem es die besondere Berücksichtigung
von ‚Illegalen‘ strich ( dafür allerdings die Art der individuellen Tätigkeit innerhalb der
NS-Strukturen stärker in den Blick nahm ). Wer bislang aufgrund illegaler Parteizuge-
hörigkeit besonderen Beschränkungen unterlegen war , ohne darüber hinaus bestimmte
Funktionen eingenommen zu haben , konnte fortan wieder studieren und sich an Wah-
len beteiligen , was sich nicht eben dämpfend auf das Buhlen der Sozialistischen Partei
Österreichs ( SPÖ , seit 1991 Sozialdemokratische Partei Österreichs ) und der Österreichischen
Volkspartei ( ÖVP ) um die ‚Ehemaligen‘ auswirken sollte. Die 1948 einsetzende „Zeit der
Amnestien“52 , deren quantitativ weitaus größtes Volumen bereits im ersten Jahr erreicht
wurde und die u. a. mit Verfahrenseinstellungen , vorzeitigen Haftbeendigungen und dem
Widerruf beruflicher Entlassungen auf breiter Front einherging , setzte einen Schluss-
strich unter einen Gutteil der völkisch-verbindungsstudentischen Alltagsprobleme der
ersten Nachkriegsjahre. Diese „Normalisierung der allgemeinen Verhältnisse“53 ermög-
lichte es den betroffenen Korporierten , sich nun wieder verstärkt der Wiederbelebung
ihrer Bünde zuzuwenden , die ihrerseits aufgrund des politisch-atmosphärischen Um-
schwungs inzwischen deutlich realistischer erschien ( vgl. Folgeabschnitt ). Auch umfas-
sende parteipolitische Betätigung stand sogenannten Minderbelasteten ab 1948 durch die
Rückerlangung nun auch des passiven Wahlrechts wieder offen , was nicht zuletzt dem
im März 1949 gegründeten Verband der Unabhängigen ( VdU ) zugutekam.
Mit dem in burschenschaftlichen Kreisen widersprüchlich aufgenommenen Staats-
vertrag54 und dem Abzug der Alliierten 1955 wurde der Umgang mit vormaligem
NS-Personal endgültig voll in österreichische Hände gelegt. Diese nahmen umge-
hend den Abbau der noch verbliebenen Entnazifizierungs-Instrumente in Angriff ,
gipfelnd in der sogenannten NS-Amnestie von März 1957. Im selben Zeitraum , zwi-
schen Oktober 1955 ( Gründungsbeschluss ) und März 1956 ( Gründungsparteitag ), er-
folgte die Gründung der Freiheitlichen Partei Österreichs ( FPÖ ). Seit dieser Zeit sind
der politischen Betätigung deutsch-völkischer Kräfte in Österreich
– mit Ausnahme
des bis heute in Kraft befindlichen Teils des Verbotsgesetzes und des im Staatsver-
trag ( Art. 4 ) verankerten ‚Anschluß‘-Verbotes – keine Entnazifizierungs-bedingten
rechtlichen Schranken mehr auferlegt. Die Darstellungen der Entnazifizierung im
verbindungsstudentischen Schrifttum wären somit durch die Feststellung zu ergän-
zen , dass der von ihr ausgehende Druck spätestens ab 1948 sukzessive und in äußerst
raschem Tempo zurückgefahren wurde. Dieser Umbruch lieferte die entscheidende
52 Stiefel 2004 , 45.
53 Oberösterreicher Germanen 1967 , 125.
54 Vgl. hierzu Stüber 1974 , 273–279 ; BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Niederschrift des ADC-Tages 1956 , 2 f. ; sowie
die Staatsvertrags-Entschließung der Arbeitsgemeinschaft der freiheitlichen Akademikerverbände Ös-
terreichs von 1955 ( BAK , DB 9 , DBs 1477 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619