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II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde
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Erfahrung : jener des ‚Ausschlusses aus Deutschland‘. Wie schon im Gefolge der Auf-
lösung des Deutschen Bundes 1866 und der Bismarck’schen Reichsgründung von 1871
reagierten weite Teile des völkischen Verbindungsstudententums in Österreich auf diese
Kränkung mit ideologischer Verhärtung. Nicht nur weigerten sie sich , wie das Gros
der politischen Eliten und der übrigen Bevölkerung mit dem Deutschtumsbekenntnis
zu brechen ; vielmehr zeigten sie sich erneut bemüht , ihre Abtrennung vom deutschen
Kernland durch hartnäckige Inszenierung als ‚die besseren Deutschen‘ zu kompensie-
ren
– ein Bestreben , das bis zum heutigen Tag ganz wesentlich das Verhalten der Bur-
schenschaften in Österreich gegenüber den bundesdeutschen Bünden prägt. Das bur-
schenschaftliche Ideal von ‚Standhaftigkeit‘ und ‚Grundsatztreue‘ ( vgl. dazu u. a. die
Kapitel III.5 f. ) tat ein Übriges , Ansätze grundsätzlicher Selbstreflexion bereits im Keim
zu ersticken und durch ein emphatisches Ja zur eigenen Vergangenheit , zur deutsch-
nationalen Idee und infolgedessen auch zur Daseinsberechtigung der völkischen Kor-
porationen nach 1945 zu übertönen.
An den Quellen lässt sich diese Haltung gut illustrieren. 1945 erscheint darin wohl
als Zäsur , nicht aber als Anlass grundlegender Selbstreflexion. Die Frage , ob ( und
wie ) weiterzumachen sei , taucht – wenn überhaupt – zumeist als bloßer rhetorischer
Aufhänger für Selbstbestätigungsübungen auf , an deren Ende die Behauptung nicht
nur einer fortbestehenden Existenzberechtigung , sondern vielmehr einer Existenz-
notwendigkeit ‚mehr denn je‘ steht. Dies gilt insbesondere für öffentliche und halb öf-
fentliche Quellen , während in privater Korrespondenz mitunter durchaus eine gewisse
Ratlosigkeit sichtbar wird.126 Im Regelfall wird ein möglichst bruchloses Anknüpfen
an die ‚alte Überlieferung‘ verfochten , deren abgerissener Faden kaum vor 1938 , frühes-
tens aber um 1930 aufgenommen werden soll. Über solche Andockpunkte wird zwar
die Phase der organisatorischen Gleichschaltung mit NS-Strukturen ausgeklammert ,
der sich über Jahrzehnte erstreckende irredentistische , militaristische und pro-anti-
semitische Weg der völkischen Korporationen Österreichs in den Nationalsozialis-
mus jedoch als Traditionsbestand affirmativ in das eigene politische Gegenwartspro-
jekt eingeschrieben.
Relativiert wird dieser allgemeine Eindruck durch vereinzelte Anzeichen einer zu-
mindest versuchten grundlegenden Bestandsaufnahme. Lindinger berichtet von „lan-
gen Diskussionen“ in der Nachkriegszeit über die Frage , ob die Bünde „eins zu eins
wiedererstehen“ sollten oder aber man ihnen „ein moderneres Gesicht geben“ möge.
Diese Frage habe „zu mehr oder weniger weitreichenden Kompromissen geführt“, auf
126 Vgl. in Sachen Selbstbestätigung beispielhaft Der freiheitliche Akademiker Nr. 1 / 1951 [ Oktober ], 6 und
Nr. 5 / 1952 [ Mai ], 15 ; Aula Nr. 12 / 1953 [ September ], 23 f., in Sachen Ratlosigkeit vgl. BAK , DB 9 , B.
VI.15 [ A ], Brief Max Doblingers an Heinz Amberger vom 14. 9. 1950 ( Abschrift ), 2 sowie Brief des an-
onymen Wiener Burschenschafters an Doblinger vom 24. 10. 1950 ( Abschrift ), 2.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619