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II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration
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wie schon erwähnt , an anderer Stelle behandelt werden.179 Jenseits eines bloßen Aus-
schlussprinzips stützt meine terminologische Entscheidung sich aber gerade auch auf
die Kritik , die am Begriff der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ bereits ab den 1960er-Jah-
ren formuliert wurde : Er propagiere eine ‚Erledigung‘ der nationalsozialistischen Ära
im Sinne eines Schussstrichs , die jedoch weder wünschenswert noch überhaupt mög-
lich sei ; er trage ethymologisch Gewalt und Stärke in sich , als könne und wolle man
mit dem Erbe des Nationalsozialismus im wahrsten Sinne des Wortes ‚fertigwerden‘.180
Tatsächlich war der burschenschaftliche Umgang mit der NS-Vergangenheit auf ein
‚Erledigen‘ derselben ausgerichtet und durch die Verweigerung von Trauer , Reue und
‚Durcharbeiten‘ gekennzeichnet. Wenn Margarete Mitscherlich die Frage stellt , wie
die deutsche Gesellschaft sich entwickelt hätte , „hätte sie sich nach dem Kriege tat-
sächlich der schmerzlichen Mühe unterzogen , ihre blutige Vergangenheit trauernd zu
bearbeiten , statt sie verdrängend zu ‚bewältigen‘ “, berührt sie damit – sofern Verdrän-
gung nicht mit Ausblendung gleichgesetzt wird – gerade den Kern dessen , was den
burschenschaftlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit in Österreich ausmacht.181
Ebendieser Umgang wird auf den folgenden Seiten porträtiert. Die Darstellung
orientiert sich dabei an mehreren , über den Untersuchungszeitraum verteilten Streif-
lichtern bzw. Einzeldebatten ( oder , in der Sprache der kritischen Diskursanalyse , ‚dis-
kursiven Schnitten‘ ), die in vielfältiger Weise aufeinander verweisen und in denen cha-
rakteristische Positionen in besonders greifbarer , gleichsam kristallisierter Form zutage
traten. Grund für die relativ ausführliche Thematisierung dieser Verhandlungen von
( NS-)Vergangenheit ist die Annahme , dass darin wesentliche Schlüssel zum Verständ-
nis der politisch-ideologischen Entwicklung ( oder Nicht-Entwicklung ) des Burschen-
schaftswesens in Österreich nach 1945 zu finden sind. Die zentrale These dieses Un-
terkapitels lautet , dass im Kreis der hiesigen Burschenschaften nach der Zerschlagung
der nationalsozialistischen Herrschaft mehr oder weniger bewusst und explizit ent-
schieden wurde , aus dieser jüngsten Erfahrung keine Notwendigkeit einer grundle-
genden Überprüfung oder gar Veränderung der eigenen geistigen Grundlagen abzu-
leiten.182 Vielmehr war man bestrebt , nach innen und nach außen die fortbestehende
Legitimität dieser Grundlagen zu verfechten , wozu unterschiedliche , in den folgenden
179 Vgl. ebd., 9. Nichtsdestotrotz lassen sich einige der von Sandner benannten Funktionen von Geschichts-
politik vortrefflich anhand der folgenden Ausführungen nachweisen , allen voran jene der „Traditions-
stiftung und Kontinuität“, der ( Selbst-)Legitimierung , der kollektiven Identitätsstiftung und der Ablei-
tung von Lehren aus der Geschichte zur Begründung gegenwärtigen ( politischen ) Handelns ( Sandner
2001 , 7–9 , Zitat : 7 f. ).
180 Vgl. Eitz/Stötzel 2007 , 601–617 , v. a. 604 , 613 , 615 bzw. 607.
181 Mitscherlich 1987 , 161.
182 Vgl. dazu auch die Ausführungen in Abschnitt II.3.1. Dass auch das Ende des Ersten Weltkriegs im bur-
schenschaftlichen Lager ( in diesem Fall nicht nur Österreichs ) weniger das Bedürfnis nach tief grei-
fender Selbstreflexion als vielmehr ideologische Verhärtung auslöste , sei an dieser Stelle nur beiläufig
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619