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II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung
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ren , wonach die österreichischen Bünde „wohl durchwegs Mitglieder die den Grund-
sätzen der Ehrenhaftigkeit nicht voll entsprachen , aus ihren Reihen entfernt“ hätten.
„Mitunter“ sei man dabei vielleicht sogar „zu weit ( gegangen ), indem man jugend-
liche Unbesonnenheit tragischer nahm , als sie es verdiente“.202 Sofern diese Bemer-
kung sich auf Ausschlüsse von Mitgliedern bezieht , die an Kriegs- oder Menschheits-
verbrechern beteiligt waren , überrascht sie insofern , als in keiner der eingesehenen
burschenschaftlichen Quellen aus Österreich Hinweise ( zumal konkretere ) auf eine
solche Ausschlusspraxis gefunden werden konnten. Sehr wohl belegt ist dagegen , dass
burschenschaftlichen Protagonisten der ‚Endlösung‘ wie Ernst Kaltenbrunner ( Armi-
nia Graz ), Irmfried Eberl ( Germania Innsbruck ) oder Gerhard Lausegger ( Suevia ) von
ihren Bünden ein ehrendes Andenken bewahrt wurde.203
Über diese bekannten Beispiele hinaus lässt sich für Wien etwa der Fall Johann Stichs
anführen. Dieser , seit 1930 NSDAP-Mitglied und mit Umstellung seiner Libertas auf
Führerprinzip zu deren „Bundesführer“ ernannt204 , stieg im April 1939 zum General-
staatsanwalt am OLG Wien auf und behielt diese Position bis Kriegsende inne. In der
Endphase des Krieges wirkte er als ( von Gauleiter und Waffenbruder Hugo Jury ein-
gesetzter ) Anklagevertreter in einer Reihe von Standgerichtsprozessen an der Verhän-
gung von 17 Todesurteilen mit , die allesamt vollstreckt wurden und ohne Verteidigung
zustande gekommenen waren.205 U. a. aufgrund seiner Rolle bei der von Jury befohle-
nen Hinrichtung von 44 Häftlingen in Stein zwei Tage später musste Stich sich 1948 vor
dem Wiener Volksgericht verantworten206
– und avancierte zum einzigen dort nachhal-
tig verurteilten NS-Staatsanwalt überhaupt207. Stich habe nach Erkenntnis des Gerichts
Handlungen aus besonders verwerflicher Gesinnung begangen , die zugleich den Gesetzen
der Menschlichkeit gröblich widersprechen , indem er Amtspflichten betreffend gerichtlich
202 BAK , DB 9 , B. VI.15 [ A ], Berka 1951 , 12.
203 Vgl. Gehler 1997b , 192 f. ; zu Lausegger vgl. auch Suevia 1968 , 54.
204 Dvorak 2014 ( Biographisches Lexikon I/8 ), 321.
205 Vgl. Stadler 2007a , 79.
206 Vgl. zu Stichs Volksgerichtsprozess ebd., 268–270 sowie ( inkl. weiterführender Links und Quellen )
http://www.nachkriegsjustiz.at/prozesse/volksg/stich_index.php sowie Stadler 2007a. Als Entlas-
tungszeuge hatte u. a. der Corpsier ( u. a. Alemannia Wien ) Walter Rabe für Stich ausgesagt , der eben-
falls unter Jury als Anklagevertreter vor NS-Standgerichten fungiert hatte ( vgl. die Arbeiter-Zeitung
vom 20. 5. 1948 , 3 ). In der Zweiten Republik erlangte Rabe eine Richterposition am Handelsgericht
Wien und wurde als einer jener im öffentlichen Dienst stehenden ehemaligen NS-Juristen bekannt ,
für die SPÖ-Justizminister Christian Broda sich nach Kritik des Publizisten Oscar Bronner in die
Bresche warf ( vgl. das FORVM-Sonderheft vom Herbst 1965 ; FORVM Nr. 143 / 1965 , 492–494 ; Wirth
2010 ; Der Spiegel Nr. 44 / 1965 , 141 f. ).
207 Vgl. Stadler 2007b , 5. Zu Stich vgl. weiters Stadler 2007a ( u. a. 366 f. ) und Klee 2007 ( Personenlexikon ),
602.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619