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II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung
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In den erwähnten Fahnenfragen standen die Burschenschafter Österreichs offen-
bar geeint : „In der österreichischen Burschenschaft konnte es hinsichtlich des Vater-
landsbegriffes keine verschiedenen Auffassungen geben. Auch bezüglich der Revision
des Geschichtsbildes gab es – soweit dies schriftlich oder mündlich zum Ausdruck
kam
– nur eine Meinung.“234 Dem ist , jedenfalls als Bestandsaufnahme von 1967 , nicht
zu widersprechen. Innerhalb der DB ( und zwischen dieser und den österreichischen
Bünden ) fanden die entsprechenden Debatten allerdings – auch außerhalb der Bur-
schenschaftlichen Blätter
– noch eine jahrzehntelange Fortsetzung ( und trugen maßgeb-
lich zur geistigen Entfremdung zwischen der DBÖ und einem Teil der bundesdeut-
schen Burschenschaften bei235 ). Nach einem erneuten Aufflammen in der sogenannten
‚Zorn-Kontroverse‘236 ab 1965 fanden diese Auseinandersetzungen 1971 in einer Nie-
derlage der etatistischen , Deutschland mit der BRD identifizierenden Fraktion und der
Annahme des ‚volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriffs‘ ihr vorläufiges Ende. Gleich-
zeitig wurde der Weg für den DB-Beitritt österreichischer Bünde frei gemacht.
Wie schon zuvor anhand der Burschenschafts-internen Rede Berkas lassen sich
auch anhand der Stellungnahmen von Weyringer und Berka in den Burschenschaftlichen
Blättern die wesentlichen Zutaten burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung bis
heute aufzeigen. Typisch ist dafür weniger die Leugnung oder das explizite Gutheißen
nationalsozialistischer Verbrechen als vielmehr deren systematische Relativierung und
Rationalisierung. Es wird historisiert und revidiert , bis letztlich kaum noch ein wirk-
liches Fehlverhalten ausgemacht werden kann , jedenfalls nicht auf burschenschaftlicher
zu stützen hätten ( BAK , DB 9 , DB 5627/2 , Zimmermann 1959 , 8 , Herv. entf. ). Wie Zimmermann ein
„wahrheitsgetreues Geschichtsbild“ über die NS-Ära anhand von Literatur entwerfen will , die älter ist
als sie , erschließt sich bei Durchsicht seiner ( durchaus affirmativen ) Literaturempfehlungen , die sich wie
ein internationaler Kanon der Rassenbiologie lesen – von Arthur de Gobineau über Houston Stewart
Chamberlain bis hin zu Adolf Bartels und Hans F. K. Günther ( ebd., 8 f. ).
234 Libertas 1967 , 103. Zur Diskussion in den Burschenschaftlichen Blättern vgl. ebd., 99–101. Dementspre-
chend war unter ihnen auch nie vom Geschichtsbild nur im Singular die Rede
– Zimmermann formu-
liert explizit , dass es nur ein richtiges geben könne.
235 Vgl. dazu die Kalmierungsversuche eines DB-Vertreters am außerordentlichen ADC-Tag 1958 : Die „in
den BBl. geäußerten , revisionistischen Meinungen“ würden „keineswegs der Verbandsmeinung der DB
entsprechen“; gleichzeitig ermahnte der DB-Funktionär die Österreicher
– allerdings ohne großen Er-
folg – , nicht „( ihre ) Auffassung von der burschenschaftlichen Idee als die einzig richtige ( zu ) betrach-
ten“ ( BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Niederschrift des ao. ADC-Tages 1958 , 5 ).
236 Auslöser der Kontroverse war ein Artikel des Burschenschafters ( Arminia Straßburg zu Tübingen ) und
Historikers Wolfgang Zorn in den burschenschaftlichen ‚Darstellungen und Quellen zur Geschichte der
deutschen Einheitsbewegung‘, der vorderhand die Haltung der Burschenschaften zur bzw. in der Weima-
rer Republik erörterte ( vgl. Zorn 1965 ; eine frühe Fassung des Textes war bereits rund elf Jahre zuvor in
den Burschenschaftlichen Blättern Nr. 12 / 1954 , 357–368 , erschienen ). Zur Debatte vgl. Brunck 2009 , 85–
90 , Lönnecker 2009b , 314–319 , Kuhn 2002 , 99–101. Die BG gab ihrerseits postwendend eine Erwide-
rungsschrift zu Zorn in Auftrag , die unter dem Titel „ ‚Vergangenheitsbewältigung‘ in der Burschen-
schaft“ erschien ( vgl. Waiblinger AHV/Ghibellinia Stuttgart 1965 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619