Seite - 99 - in „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“ - Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Bild der Seite - 99 -
Text der Seite - 99 -
II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung
99
beantragte die Abschaffung der inzwischen institutionalisierten Würdigung der Wi-
derstandskämpfer des 20. Juli am Plötzensee im Rahmen burschenschaftlicher Tagun-
gen in Berlin , da es sich bei den Männern um Stauffenberg um „Verräter“ handle. In
der namentlichen Abstimmung schlossen sich lediglich 13 , „überwiegend österreichi-
sche Verbindungen“, dieser Position an.247
Dass die Reden der Gedenkveranstaltungen an der Universität Wien einander über
die Jahre und verschiedene Redner hinweg inhaltlich sehr stark ähneln , trägt nicht nur
dem stets selben Anlass Rechnung , sondern deutet auch darauf hin , dass der burschen-
schaftliche Blick auf die Kriegsereignisse und deren Bewertung im Zeitverlauf kaum
Änderung erfuhren ( wie auch die Folgeabschnitte dieses Kapitel nahelegen ). In Summe
belegen sie auf inhaltlicher Ebene die These von der Reflexionsabwehr der Burschen-
schaften in Österreich nach 1945. Insbesondere machen sie , als direkt dem Andenken
der gefallenen Bundes- und Waffenbrüder gewidmet , die Rolle dieses Andenkens für
die burschenschaftliche Erinnerung des Nationalsozialismus überhaupt verständlich.
Über eine positiv-unkritische Praxis des Gedenkens an die Gefallenen aus den eigenen
Reihen wurde indirekt eine apologetische bis affirmative Lesart des Nationalsozialismus
selbst verfochten
– sofern diese nicht ohnehin schon unmittelbar vorgeherrscht haben
mochte. Ausschlaggebend hierfür waren zwei Grundlinien burschenschaftlichen ‚Hel-
dengedenkens‘ : die empfundene Verpflichtung , dem Einsatz der Verstorbenen Aner-
kennung zu zollen , sowie der Wunsch , ihrem Sterben Sinn abzuringen.
Gedenken im Modus der Anerkennung
Dass das Gedenken ein dezidiert ehrendes zu sein habe , gebot nicht nur das allge-
meine Prinzip der innerbündischen bzw. innerburschenschaftlichen Solidarität , son-
dern v. a. auch der Umstand , dass die Burschenschafter als Soldaten oder SS-Männer
dem burschenschaftlichen Programm und Wertesystem ( jedenfalls in deren in den
1930er-Jahren in Österreich ‚gültigen Fassung‘ ) tatsächlich nicht zuwidergehandelt ,
sondern ihnen vielmehr entsprochen hatten. Dies verdiente aus burschenschaftlicher
Sicht Anerkennung , welche auf verschiedene Weise argumentiert und auf unterschied-
liche Aspekte des Einsatzes der Toten bezogen wurde. Häufig würdigten Redner etwa
die bloße Selbstverleugnungs- bzw. ‚Opferbereitschaft‘ der Gefallenen – ungeachtet
des konkreten dahinterliegenden Motivs und der politisch-militärischen Funktion
247 ( Zit. n. ) Kuhn 2002 , 152. Vgl. auch Burschenschaftliche Blätter Nr. 5 / 1986 , 150 und Nr. 4 / 1987 , 100. Hierzu
passt , dass die Wiener Burschenschaften und Landsmannschaften ( ARGE WBL ) 1990 Otto Ernst Remer
zum Vortrag luden , der eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung der Verschwörung vom 20. Juli ge-
spielt hatte und nach dem Krieg über Jahrzehnte weiter im nationalsozialistischen Sinne tätig geblieben
war. Über seinen Vortrag und die dabei von ihm gelieferte Rechtfertigung des Zweiten Weltkriegs „aus
deutscher Sicht“ berichtet die Chronik der Oberösterreicher Germanen ( 1994 , 162 ) ohne jede Distanzierung.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619