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II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration
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brüder im Zeichen zeitloser Ideale geschehen sei , bekräftigte diese Ideale , somit auch
die Daseinsberechtigung der Burschenschaften nach 1945 und die Sozialisationsleis-
tungen , die sie den ihnen neu Beigetretenen angedeihen ließen. Die Gedenkreden er-
weisen sich in dieser Perspektive ( und durchaus genretypisch ) als Selbstgespräche und
Anrufung der ( Über-)Lebenden zum Zwecke der Identitätsstiftung
– gerade auch auf
dem weltanschaulich brüchigen Grund der Nachkriegsjahre. Die Anwesenden wurden
auf ihrem Weg bestärkt und gleichzeitig versichert , dass auch sie Ehrungen zu erwar-
ten hätten , sollten sie diesen einst ‚zu Ende gehen‘ müssen.
Den Eindruck der Sinnlosigkeit bzw. Widersinnigkeit des Einsatzes und Todes im
( überdies verlorenen ) Aggressionskrieg
– und damit auch der Unhaltbarkeit jener Ide-
ale , für die dabei angeblich eingestanden worden war – versuchten die Redner einer-
seits , wie schon gezeigt , durch die demonstrative Beschwörung eben jener Ideale zu
wider legen. Eine andere , offen politische Möglichkeit der Sinnstiftung bestand im
Rückgriff auf ‚revisionistische‘ Argumentation. In diesem Fall verlief die Begründung
der Sinnhaftigkeit des Kriegseinsatzes über historische Rechtfertigungen des natio-
nalsozialistischen Waffengangs , indem die deutsche Verantwortung für den Kriegsaus-
bruch zurückgewiesen oder relativiert wurde. Als gängigster Ansatzpunkt dienten da-
bei erneut die Pariser Vorortverträge , die dem Deutschen Reich seinen Angriffskrieg
im Sinne einer Korrektur historischen ‚Unrechts‘ gleichsam aufgezwungen hätten.267
Nur selten wurde dagegen der Sinn des Sterbens in einem Auftrag erblickt , „zu ringen
um den Frieden der Welt“. Wo doch , konnte auch der Friedenswunsch in ‚revisionis-
tischer‘ Verbrämung auftreten : Nie wieder möge es einen Krieg geben , so Dieter Groiss
an die Gothen 1972 , „welcher zum Schutz unserer Heimat geführt werden muß“
– so als
sei dies zwischen 1939 und 1945 der Fall gewesen.268
Weit häufiger erkannten Redner den eigentlichen Sinn des Todes ihrer Kameraden
in dem Beispiel , das diese damit gegeben hätten : Es liege demnach an den Überleben-
den , „dem Opfer der Gefallenen ( … ) Sinn ( zu ) geben“, indem sie sich an diesen ein
Beispiel nähmen.269 „Unser Dank kann nur in der Tat und Gesinnung liegen , der un-
ermesslichen Opfer an Gut und Blut immerfort wertzubleiben.“270 Darunter konnte
267 Vgl. etwa AUW , S 259.67 , WKR 1958 , 2 oder AUW , S 259.70 , Alemannia/Oö. Germanen 1967 , 2.
268 AUW , S 259.131 , Gothia 1961 , 3 bzw. AUW , S 259.158 , Gothia 1972 , 2. Vgl. zur Darstellung des Krieges
als Mahnung zum Frieden auch die Gedenkrede des FPÖ-Nationalrats Helmuth Josseck ( Olympia ) am
Tag der Freiheitlichen Akademiker 1978 ( gehalten im Linzer ‚Burschenschafterturm‘ und wiedergege-
ben in der Aula Nr. 11 / 1978 , 1 ). Als ein zweiter Ausdruck gedenkpolitischer Modernisierung in Jossecks
Rede ist eine Umschreibung der Kriegsopfer zu verzeichnen , die zwar die Opfer des Nationalsozialis-
mus nicht explizit nennt , aber zumindest die Möglichkeit eröffnet , sie
– neben gefallenen Wehrmachts-
soldaten , volksdeutschen Vertriebenen oder in deutschen Städten ausgebombten Frauen und Kindern
–
mitzudenken.
269 AUW , S 259.68 , WKR 1953 , 2 ; vgl. auch AUW , S 259.63 , Albia 1955 , 1 f. und S 259.67 , WKR 1958 , 1.
270 AUW , S 259.67 , WKR 1957 , 4.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619