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II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung
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nun schlicht verstanden werden , „Haltung“ und „Würde“ zu zeigen.271 Die Erhebung
der Verstorbenen zu Vorbildern konnte jedoch auch deutlicher als konservativer Auf-
trag an nachfolgende Generationen ausgelegt werden : als Aufgabe , „in Treue zu Hei-
mat , Volk und Vaterland zu stehen“272, oder als Mahnung , „den Glauben zu bewahren
( … ) an die Idee , die unseren Bund zusammenhält“.273 Für die zum 100. Stiftungsfest
1960 versammelten Liberten gelobte Hans Hamscha gar , das „Erbe“ der verstorbenen
Bundesbrüder „rein und unverfälscht zu erhalten und es auch der Jugend zu über
geben ,
wenn wir abberufen werden“.274
Reform als Abkehr von der bisherigen Überlieferung burschenschaftlicher Theo-
rie und Praxis erschien vor diesem Hintergrund als Frevel am Andenken der verstor-
benen Gesinnungsfreunde. Diese Botschaft , deren Adressatinnen wohl vor allem
die jüngeren , selbst nicht im Krieg gestandenen Burschenschaftergenerationen wa-
ren , kann als ein wesentlicher Erklärungsfaktor für die weltanschauliche und poli-
tische Erstarrung der Burschenschaften im Österreich der Zweiten Republik ange-
sehen werden. Gleiches gilt für die autosuggestive , identitätsstiftende Stoßrichtung
der Gedenkfeiern , die etwaige Selbstzweifel in Bezug auf die eigene ( individuelle
und kollektive ) Biographie der Teilnehmenden beseitigen sollte. Die Feiern halfen
zum einen , den nach 1945 eingeschlagenen Kurs des ‚Weiter wie bisher‘ zu definieren
und zu verstetigen. Zum anderen verstärkte die in ihrem Rahmen betriebene Sinn-
suche die ohnehin vorhandene Tendenz zur auch nachträglichen Legitimierung des
Nationalsozialismus : nicht nur dem Sterben seiner Krieger , sondern auch ihm selbst
wurde dadurch Sinn verliehen.
Die Tradition der Totengedenken am ‚Siegfriedskopf‘ endete , soweit es den WKR
betrifft , 1996 mit einem Politikwechsel des Rektorats.275 Ab dem Folgejahr
– nach An-
271 AUW , S 259.63 , WKR 1953 , 2.
272 AUW , S 259.67 , WKR 1957 , 4.
273 AUW , S 259.159 , Bruna Sudetia 1966 , 1.
274 Zit. n. Libertas 1967 , 239.
275 Der jüngste ( zugängliche ) Antrag im Universitätsarchiv datiert von 1992 und betrifft eine Kranznie-
derlegung durch Gothia Wien ( genehmigt per Schreiben von Rektor Alfred Ebenbauer vom 11. 5. 1992 ,
AUW , S 259.158 ); im selben Jahr hielten auch die Oberösterreicher Germanen eine solche Veranstaltung
ab ( vgl. Oberösterreicher Germanen 1994 , 180 ). Der erwähnte Politikwechsel führte in der Ära Eben-
bauer nach Verhandlungen zwischen Rektorat und WKR zu einer Kompromisslösung : Der wöchent-
liche ‚Farbenbummel‘ musste auf die Rampe des Universitätshauptgebäudes ausweichen , auch Toten-
gedenken waren fortan in selbigem nicht mehr vorgesehen. Nach dem Amtsantritt von Rektor Georg
Winckler ( 2000/2001 ) fühlten sich die WKR-Bünde an dieses Ergebnis ihrer Verhandlungen mit dessen
Vor-Vorgänger nicht mehr gebunden und kehrten mehrfach in Farben in die Aula zurück ( mündliche
Auskunft des Rektors im Ebenbauer/Winckler-Interregnum , Wolfgang Greisenegger , vom 16. 2. 2012 ).
2006 wurde der ‚Siegfriedskopf‘ im Zuge seiner Verlegung in den Arkadenhof durch künstlerische
Umgestaltung sowie zeithistorische Kontextualisierung für Zwecke der ‚Heldenehrung‘ nach österrei-
chisch-burschenschaftlicher Art tendenziell unbrauchbar gemacht ( vgl. Ruttner 2009 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619