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II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration
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wesens in Österreich übertragen. So zeigten moderate bundesdeutsche Burschenschaf-
ter sich 1960 beunruhigt darüber , dass ihre österreichischen Waffenbrüder die staat-
liche Trennung von Deutschland und Österreich „innerlich nicht nachvollzogen( )“
hätten381
– ein Eindruck , den der Oberösterreicher und spätere Aula-Autor Fred Dus-
wald ( Danubia München ) umgehend bestätigte. Da die DB die „Niederlage unseres
Vaterlandes“ im Zweiten Weltkrieg „nicht gewollt“ habe , brauche sie „auch die Gewalt-
maßnahmen der Sieger nicht zu billigen , die die heutige Realität geschaffen haben“.382
Dass das von Adorno angesprochene ‚Reparaturbedürfnis‘ unter Burschenschaftern in
Österreich weit verbreitet war bzw. ist , zeigen deren vielgestaltige Bemühungen um
eine Wiederherstellung deutscher Größe ( sowohl im Sinne von Bedeutung als auch im
Sinne geographischer Ausdehnung ).383
Als zweiter prägender Faktor der burschenschaftlichen Vergangenheitsbewältigung
in Österreich wurde die Verbundenheit zwischen Bundes- bzw. Waffenbrüdern ge-
nannt. Das Lebensbundprinzip studentischer Korporationen wurde dabei im Sinne
unbedingter Loyalität ausgelegt. Diese war jedem zu zollen , der nicht etwa aus dem
Bund ausgeschlossen worden war – und für Ausschlüsse nationalsozialistischer Pro-
tagonisten aufgrund ‚unehrenhaften‘ oder das Bundansehen schädigenden Verhaltens
liegt in den Quellen ( mit Ausnahme des in Abschnitt II.5.1 zitierten , diffusen Hinwei-
ses von Berka ) kein Anhaltspunkt vor ; angesichts des Umfangs burschenschaftlicher
NS- Involvierung und der Frage , wer den ersten Stein hätte werfen sollen , erscheint
dies auch nicht weiter verwunderlich. Neben der Lebensfreundschaft als abstraktem
Prinzip und dem Wissen der meisten Individuen um die je eigene Involvierung förder-
ten konkrete persönliche Verbundenheit , wie sie aus gemeinsamen Erfahrungen wäh-
rend der Aktivzeit , ‚Leibverhältnissen‘384 usw. resultierte , sowie autoritäre Erziehung
im Bund ( vgl. die Kapitel III.3 und III.8.4 ) den wechselseitigen ( und letztlich kollek-
tiven ) Kritikverzicht. Nicht zuletzt war man bestrebt , das Sterben der gefallenen Bun-
des- und Waffenbrüder als sinnhaft und richtig zu deuten
– und damit gleichzeitig das
eigene ( individuelle und kollektive ) Verhalten zu begründen.
381 BAK , DB 9 , C. IV.2 [ A1 ], VaB-Mitteilungen Nr. 24 / 1960 ( Vorort Bremen ), 6.
382 BAK , DB 9 , C. IV.2 [ A1 ], VaB-Mitteilungen Nr. 28 / 1961 ( Vorort Bremen ), 5. Vgl. hierzu weiterführend
Kapitel III.7.2.
383 Diese Bemühungen können im Rahmen dieses Buches nur auszugsweise dokumentiert werden ( vgl.
dazu v. a. Kapitel IV ). Als besonders ergiebig könnte sich in diesem Zusammenhang eine Auseinander-
setzung mit der burschenschaftlichen Europapolitik ( als Schleichweg zur Restauration deutsch-öster-
reichischer Verbundenheit und deutscher Dominanz im kontinentalen Maßstab ) erweisen , die späte-
ren Arbeiten vorbehalten bleiben muss.
384 Das ‚Leibverhältnis‘ bezeichnet die , der Idee nach , besonders enge Beziehung zwischen einem Fuch-
sen und seinem Mentor und Fürsprecher ( dem ‚Leibburschen‘ ). Indem Füchse nach ihrem Aufstieg in
den Burschenstand selbst von Füchsen zu ‚Leibburschen‘ erwählt werden ( können ), entstehen mehrere
Generationen umfassende ‚Leib-‘ oder ‚Bierfamilien‘.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619