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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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auch ( als ) ein Bildungsinstrument ( … ), das ( … ) eine Lücke als Korrektiv der akademischen
Freiheit ausfüllte und im Rahmen einer innerkorporativen Charakterbildung die wissenschaft-
lich-berufliche Ausbildung der Universität abzurunden versuchte , zugleich aber auch eine
Erziehung für die Zugehörigkeit zur Oberschicht der deutschen Gesellschaft bezweckte. In
einem Satz : ‚Die Universitäten unterrichteten , die Verbindungen erzogen.‘160
Dieser Zusammenhang zwischen einem vorgeblichen pädagogischen ‚Mehrwert‘ der
Korporationen und ihrer Rolle als Reproduktionsinstanzen gesellschaftlicher Eliten
war nach 1945 allerdings prekär geworden. Zum einen senkte die soziale Öffnung der
Hochschulen den relativen symbolischen Wert ( und den realen Arbeitsmarkt-relevan-
ten Nutzen ) einer akademischen Ausbildung. Zum anderen verloren gerade die völ-
kischen Korporationen , zunächst anders als die katholischen , den Status eines Steig-
bügels zur Funktionselite , da die beiden über Jahrzehnte allein oder in Kombination
miteinander regierenden Parteien in ihrer Rekrutierung das völkische Korporationswe-
sen kaum berücksichtigten. Um die sich auftuende Kluft zwischen elitärer Selbstwahr-
nehmung und realer gesellschaftlicher Rolle zu überbrücken , wurde nun umso stärker
die Einmaligkeit des in ( völkischen ) Verbindungen vermittelten Ethos beschworen
und , basierend darauf , ein wertelitärer Status reklamiert. Einen Universitätsabschluss ,
so hieß es nun , könne heute jedermann ( und selbst jede Frau ) erwerben , ohne aber –
wie ein deutscher Corpsstudent 1985 formulierte – dabei „jene( ) Verhaltensweisen“ zu
erlernen , „die den werktätigen Akademiker zur Selbstbehauptung und zur Menschen-
führung befähigen. Die Korporationen schaffen das ; sie sind die Vorschulen einer Aka-
demiker-Existenz.“161
Bereits die bisher angeführten Zitate offenbaren eine begriffliche Inkohärenz : Teil-
weise beanspruchen Burschenschaften , zu ‚erziehen‘ , teilweise beanspruchen sie , zu
‚bilden‘
– und mitunter auch beides. Wenn auch in der Regel keine Definitionen dieser
Begriffe geliefert werden , so tritt doch deutlich zutage , dass hierbei nicht allein unter-
schiedliche Etiketten verwendet , sondern vielmehr unterschiedliche Bedeutungsgehalte
verhandelt werden. Die Begriffswahl taugt dabei nur bedingt als Indikator
– einerseits
aufgrund der oftmals recht ‚freihändigen‘ Verwendung der Termini , andererseits auf-
grund des historischen Wandels ihrer Konnotationen.162 Vor diesem Hintergrund er-
160 Lönnecker 2009b , 2.
161 Herbert Kessler ( Corps Suevo-Guestphalia München ), langjähriger Herausgeber der Zeitschrift Der
Convent , zit. n. Heither 2000 , 298. Vgl. auch ein weiteres Kessler-Zitat , zit. ebd. : „Zum Natur- oder
zum Geistes- oder Gesellschaftswissenschaftler , zum Mediziner oder zum Techniker wird man an der
Hochschule ausgebildet – zum Akademiker aber bildet man sich im Lebensbund heran.“
162 Der Erziehungsbegriff geriet in Österreich erst mit den antiautoritären Strömungen , die Pädagogik und
politische Auseinandersetzung ab den 1960ern nachhaltig zu beeinflussen begannen , verstärkt in die
Kritik. Auch galten Personen in Österreich bis 1973 erst ab dem vollendeten 21. Lebensjahr als volljäh-
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619