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III.3 Burschenschaftliche Erziehung
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scheint es sinnvoll , für die weiteren Ausführungen eine konsistente quellen-externe
Definition heranzuziehen : So verstehe ich unter ‚Erziehung‘ im Folgenden die ( fremd-
bestimmte ) Formung von Individuen nach einem vorab definierten Idealbild des Men-
schen ( bzw. im vorliegenden Fall : des Mannes ), unter Bildung dagegen die Herstellung
von Situationen , in denen Individuen sich ergebnisoffen und selbstbestimmt Wissen
aneignen , Fähigkeiten entwickeln und Individualität erwerben können.
Nimmt man dieses Begriffsverständnis zur Grundlage und folgt weiters Lönneckers
Darstellung , so stellen studentische Verbindungen jedenfalls seit dem 19. Jahrhundert
( die Burschenschaften somit zeit ihrer Existenz ) auf Erziehung ab : Vor dem Hinter-
grund des Humboldt’schen Ideals einer Universität , welche „die selbständige geistige
und sittliche Entwicklung des Studenten propagierte , bildete , aber nicht erzog“, hätten
die Korporationen eben Letzteres zu tun beansprucht.163 Für Österreich nach 1945 lässt
sich festhalten , dass nicht nur der Erziehungsbegriff in der burschenschaftlichen Dis-
kussion äußerst gängig und gegenüber dem Begriff der Bildung vorherrschend war164 ,
sondern er in Teilen auch eine besonders prononciert autoritäre Bestimmung erfuhr.
Der 1955 gegründete Weiße Kreis in Österreich ( WKÖ )
– ein Zusammenschluss von ur-
sprünglich sieben Burschenschaften aus Wien , Graz und Innsbruck
– führte als ersten
Grundsatz die „( s )traffe innere Erziehung – Korporationszucht“.165 Ein ähnlicher , je-
denfalls sprachlicher Rigorismus findet sich auch bei Alemannia , deren Chronist den
ausbleibenden Nachwuchs der Burschenschaften auch damit erklärte , dass „( m )an ( … )
sich heute nicht gerne einer Gemeinschaftserziehung ( unterwirft )“.166
In manch anderer Quelle wird die Vorstellung burschenschaftlicher Erziehung als
‚Zucht‘ und ‚Unterwerfung‘ dagegen mehr oder weniger deutlich zurückgewiesen. Der
Burschenschafter und FPÖ-Funktionär Klaus Mahnert sah die Burschenschaft dezi-
diert nicht als „Orden , in dem nach straffen Gesetzen ein bestimmter Menschentyp
gezüchtet wird oder werden soll“. Die Verbindung vermittle „( k )eine starren Normen“,
sondern stelle lediglich einen „Kompaß“ zur Verfügung , „mit dessen Hilfe das innere
rig , was den Gedanken einer ‚Erziehung‘ von Studenten weniger speziell erscheinen ließ , als dies heute
der Fall sein mag.
163 Lönnecker 2009b , 2. Nicht umsonst lässt Heinrich Mann seinen Protagonisten aus dem ‚Untertan‘ ,
Diederich Heßling , „stolze Freude“ darüber empfinden , „wie gut er nun schon erzogen war. Die Kor-
poration , der Waffendienst und die Luft des Imperialismus hatten ihn erzogen und tauglich gemacht.“
( Mann 1974 , 76 )
164 Vgl. etwa Aldania 1984 , 5 und 30 ; Aldania 1994 , 91 und 186 ; Alemannia 1962 , 29 ; Oberösterreicher Ger-
manen 1967 , 133 , 144 und 150.
165 Albia 2005 , 17. Vgl. auch Libertas 1967 , 180 , wo im Kontext des WKÖ von „strenge( r ) Korporations-
zucht“ die Rede ist. Die Zahlenangabe ist letztgenannter Quelle entnommen.
166 Alemannia 1962 , 27. Noch 1993 zitierte die Bundzeitung Olympias unter der redaktionellen Verantwor-
tung Martin Grafs den deutschen neonazistischen Musiker Frank Rennicke mit der Aussage , der „deut-
sche Weg“ erfordere „Einsatz und Selbstzucht“ ( Der Standard vom 19. 11. 2011 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619