Seite - 168 - in „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“ - Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Bild der Seite - 168 -
Text der Seite - 168 -
III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
168
Gesetz aufgespürt werden kann“.167 Mahnert hatte seine burschenschaftliche Soziali-
sation allerdings auch in Deutschland ( Halle ) erfahren. Seine österreichischen Waffen-
brüder distanzierten sich – wenn , dann eher indirekt – von Absichten zur Menschen-
formung , etwa indem sie eng an die Vorstellung menschlicher Individualität gekoppelte
Eigenschaften und Fähigkeiten wie „Persönlichkeit“ und „Kreativität“ als Bildungsziele
propagierten.168 Den DBÖ-Grundsätzen von 1965 zufolge sollte jeder Burschenschafter
„sich selbst die innere Freiheit des Geistes“ erwerben und „frei von Vorurteilen , unab-
hängig und selbständig im Denken ( … ) sein“. Das hier entwickelte pädagogische Pro-
gramm weicht erst dort von klassisch liberalem Denken ab , wo dem „Recht des Einzel-
nen , sich frei zu entwickeln , auszubilden und zu handeln“ nicht nur die Schranke der
Rechte anderer , sondern auch jene der Rechte „der Gemeinschaft“ auferlegt wird.169
Ob unter der geistigen Autonomie des Einzelnen tatsächlich ein Denken und Urtei-
len entlang eigener Kriterien zu verstehen sei oder aber lediglich die Befähigung zur
sauberen Ableitung aus extern vorgegebenen Grundsätzen , ohne dabei noch fremder
Anleitung zu bedürfen , war auch unter Burschenschaftern umstritten. So wollte Bruno
Burchhart den Nachwuchs nicht nur zur Vertretung burschenschaftlicher Ideen , son-
dern auch zu deren aktiver Mitgestaltung befähigt wissen , während der Fuchsmajor ( der
für die Erziehung der Füchse Hauptzuständige ) von Burchharts Vandalia den Jungen
lediglich „eine gründliche Durcharbeitung des burschenschaftlichen Gedanken gutes
und der Ideen , die wir vertreten“, angedeihen lassen wollte.170
Dass Selbstbestimmtheit und Ergebnisoffenheit dezidiert nicht als Leitprinzipien
burschenschaftlicher pädagogischer Praxis in Österreich anzusehen sind , legt nicht zu-
letzt der bereits eingangs angesprochene , umfassende Anspruch nahe , der dieser Praxis
unterliegt und nicht selten das Ideal einer ‚ganzheitlichen‘ Bildung in Richtung einer
totalitären Modellierung des Einzelnen zu überschreiten scheint. So erstellte ein Alter
Herr der Libertas in der Zwischenkriegszeit eine Art Lexikon , das dem Anspruch nach
„alles“ enthielt , „was für einen jungen Liberten wissens- und beachtenswert ist“. Neben
„alle( n ) positiven Charaktereigenschaften“ fanden darin Aspekte wie „Haar“ und „Sau-
berkeit“ ebenso Erwähnung wie Kleidungsvorschriften , „Anstand und gute Sitte“, „An-
leitungen für das Benehmen im Couleurleben“ oder im engeren Sinn politisch-ideo-
logische Fragen. Bemerkenswerterweise entschieden die jungen Liberten noch 1957 ,
dieses rund 20 Jahre zuvor ( und somit in einer Zeit höchst autoritärer Tendenz unter
den Burschenschaften , zumal jenen Österreichs ) erstellte Grundlagen dokument „für
167 Burschenschaftliche Blätter Nr. 4 / 1977 [ Juni ], 97.
168 http://www.stiria-graz.at/index.php/wir-ueber-uns.
169 BAK , DB 9 , E. 4 [ B2 ], Anlage B zum ADC-Rundschreiben Nr. 1 ( Markomannia ) von 1965/66 ( unda-
tiert ), 1.
170 Nachrichten der Burschenschaft Vandalia , Wintersemester 1962/63 , 7 bzw. 9.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619