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III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist
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Dass dies nicht zuletzt auch Fragen des studentischen Fechtens betraf , war keineswegs
Zufall. Betrachtet man die Diskussionen um Ehrenordnung und Fusion sowie sonstige
politische Äußerungen der Burschenschaften in Österreich in der Zusammenschau , so
lässt sich ein tendenzieller positiver Zusammenhang von Konservatismus und Rigoris-
mus in Brauchtumsfragen ( wie Duell und Mensur ) einerseits und in einem engeren Sinn
politisch-ideologischen Angelegenheiten andererseits feststellen.273 Heither ergänzt als
dritten Pol eines wechselseitigen Verstärkungs- und Indikationsverhältnisses die Rigi-
dität und Traditionsverhaftetheit der jeweiligen Vorstellungen über Geschlechterrollen
und Geschlechterverhältnis. „Männerbund , Brauchtum und Weltanschauung bilden ( … )
eine Einheit ; Organisationsstruktur , Härte-Rituale und ( nationalistische ) Politik stützen
sich gegenseitig und sind somit funktional aufeinander bezogen.“274 Gegen diese These
lässt sich
– neben der Absage Gunther Pendls an die Vorstellung , dass „die Qualität der
politischen Äußerungen“ eines Bundes aus dessen Haltung in der Mensurfrage abge-
leitet werden könne
– der Umstand ins Treffen führen , dass das historische Vereinsstu-
dententum die Burschenschaften an politisch-ideologischer Radikalität noch zu über-
treffen suchte , in Fragen des studentischen Brauchtums aber eine progressivere Linie
vertrat.275 Andererseits pflegten die weltanschaulich für österreichische Verhältnisse rela-
tiv offenen Obergermanen
– ihrer Chronik zufolge im Unterschied zu anderen Bünden
–
„keine übertriebenen Äußerlichkeiten wie Biercomment und ähnliche Bräuche“276 , und
versuchte Silesia 1964 die in Sachen der unbedingten Satisfaktion reformwilligen Bur-
schenschafter durch den Hinweis zu diskreditieren , dass auch „die Gründer der Sozia-
tigegründen der einzelnen Korporationen verhindert“ ( BAK , DB 9 , E. 4 [ A3 ], Arbeitsunterlagen zum
DBÖ-Tag 1963 , 5 ).
273 Auch Scheichl bestätigt im Interview vom 8. 6. 2012 diesen Zusammenhang. An dieser Stelle sei darauf
hingewiesen , dass Lönnecker zufolge burschenschaftliche Dachverbände schon im 19. Jahrhundert be-
vorzugt an „Streitigkeiten um Mensur und studentische Binnenethik , den Comment“ zerbrachen , nicht
zuletzt in Österreich ( Burschenschaftliche Blätter Nr. 1/2008 , 36 ). Inwieweit auch hier ‚Schattenkämpfe‘
vorlagen , wäre einer näheren Untersuchung wert.
274 Heither 2000 , 392. Vgl. auch ebd., 405. In Umkehrung des erwähnten Verstärkungsverhältnisses gilt
Heither zufolge : „Je kritischer sich die Studentenverbände und -Verbindungen mit den Formen des von
ihnen praktizierten Brauchtums befassen und je rationalistischer ihre Analyse desselben ausfällt , desto
weniger ausgeprägt ist das Denken in Geschlechterdualismen und männerbündischen Kategorien , und
desto liberaler ist der politische Standort der jeweiligen Korporation.“ ( Ebd., 407 f. )
275 Oberösterreicher Germanen 1994 , 167 bzw. vgl. Stimmer 1997 ( Band I ), 192 f. und 503 ; zur tragenden
Rolle der VDSt bei der ‚illiberalen Wende‘ in weiten Teilen des akademischen Verbindungswesens vgl.
( für das deutsche Kaiserreich ) Jarausch 1984 , 82–93.
276 Oberösterreicher Germanen 1994 , 84. Jan-Michael Müller von der inzwischen aus der DB ausgetrete-
nen Brunsviga Göttingen stellte im Interview vom 19. 6. 2010 sogar eine Verbindung zwischen Kleidung
und politischer Einstellung her : Die „ ‚stramm konservativen‘ Bünde“ seien „auch entsprechend geklei-
det , das ist eine Frage der Uniformierung , der Bekundung der politischen Grundeinstellung nach au-
ßen.“ Dasselbe gelte umgekehrt für die von liberaleren Bünden durchschnittlich an den Tag gelegte lo-
ckerere Handhabung traditioneller Kleidungsvorschriften.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619