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III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist
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durch die Altherrenschaften eine große Gefahr“.288 Nicht nur deshalb könnte die kla-
rere Trennung in Deutschland nach 1945 auf eine unterschiedliche Verarbeitung der
NS-Vergangenheit verweisen. Die unter bundesdeutschen Bünden durchschnittlich
größere Bereitschaft zum Bruch mit dieser ( vgl. Kapitel II.5.2 ) könnte auch die Ein-
ziehung einer klaren Trennlinie zwischen den Generationen motiviert oder zumindest
begünstigt haben. Dass viele bundesdeutsche Verbindungen ihre Geschicke exklusiver
in die Hände der Jungen legten als die Österreicher , lässt sich als Bekenntnis zu einem
Neuanfang deuten. Ein Bruch mit der Vorkriegsüberlieferung wurde damit in Kauf ge-
nommen , eventuell sogar angestrebt. Die in Österreich stattdessen gängige Betonung
der Verbundenheit der Generationen könnte demnach dem Wunsch entsprochen haben ,
ein ideologisches Abrücken des Nachwuchses zu verhindern und – über die Behinde-
rung jenes Mindestmaßes an Distanzgewinn , das Voraussetzung ist , Kritik formulie-
ren zu können – die Loyalität zur Kriegsgeneration sicherzustellen.289
Auch jenseits des Problemkomplexes der NS-Vergangenheit war in den österreichi-
schen Bünden nach 1945 vielerorts ein Hang zur möglichst weitgehenden Vermeidung
von Konflikten feststellbar
– innerhalb der einzelnen Verbindungen stärker als zwischen
ihnen und geradezu konträr zur Haltung gegenüber liberaleren Bünden in Deutsch-
land oder gar der nicht-burschenschaftlichen Außenwelt. Diese Haltung prägte nicht
zuletzt das Verhältnis zwischen den Generationen.290 Scheichl erwähnt etwa , die jun-
gen Innsbrucker Germanen seien zu seiner Aktivzeit in den 1960er-Jahren der Frage der
Genugtuungsfähigkeit von Juden „stets aus dem Weg gegangen“, zumal es nach 1945
288 BAK , DB 9 , B. VI.15 [ C2 ], Brief der Berliner B ! Germania an den GAVT-Vorsitzenden Dieter We-
ber vom 28. 1. 1961. Aldania zufolge hätten auch die akademischen Behörden die Auftrennung der Bur-
schenschaften in je zwei separate Vereine verlangt , um „den Einfluß der weiseren Älteren zu brechen“
( Aldania 1994 , 76 ). Den Akten über die Wiederzulassung der Korporationen nach dem Krieg im Ar-
chiv der Universität Wien ist eine solche Bedingung allerdings nicht zu entnehmen. Lönnecker bestä-
tigt dagegen , dass die Universitäten „keine Verzahnung mit der Altherrenschaft“ gewünscht hätten , da
Nicht-Studenten nicht ihrer Jurisdiktion unterworfen waren. Dementsprechend sei eine vereinsrecht-
liche Trennung – so Lönneckers Wahrnehmung – auch „die Regel“ ( E-Mail von Lönnecker an Gün-
ter Cerwinka vom 25. 7. 2012 ).
289 Scheichl glaubt nicht an einen Zusammenhang von Generationentrennung und einer spezifischen Form
der Vergangenheitsbewältigung und macht stattdessen „lokale Traditionen“ für den Unterschied zwi-
schen Deutschland und Österreich verantwortlich. Auch weist er darauf hin , dass einzelne österrei-
chische Bünde „durchaus eine strenge Trennung von Aktivitas und Altherrenschaft“ kennen würden
( E-Mail vom 1. 7. 2012 ).
290 Vgl. zu den nicht zuletzt ökonomischen Ursachen dieser Haltung auch Abschnitt III.5.6. Als eine sel-
tene Ausnahme ist der Abdruck eines Aufsatzes von Hans Pestalozzi ( „Aufruf zur Rebellion“ ) durch die
jungen Oberösterreicher Germanen 1982/83 in deren Bundeszeitung zu nennen , der explizit dazu gedacht
war , „die Alten Herren ( … ) zu einem Meinungsaustausch zu veranlassen“ ( Oberösterreicher Germa-
nen 1994 , 115 ).Vgl. weiters die ( etwa zeitgleiche ) Affäre um einen Artikel zur Bewertung des National-
sozialismus , der seitens mancher Alter Herren als gezielter Provokationsversuch gedeutet wurde ( Ka-
pitel II.5.5 ) und Aldania 1994 , 207.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619