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III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist
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desbrüderlichen Verhaltens“.300 Als mindestens ebenso wirksam und somit bedeutend
wie repressive Maßnahmen dürfte jedoch die Stiftung und Erhaltung von Verbundenheit
durch gemeinschaftsbildende Aktivitäten und Rituale einzustufen sein.301 Darüber hinaus
wurde die Wichtigkeit des engen Zusammenstehens gegenüber der Außenwelt auch in-
haltlich begründet
– nach 1945 einerseits über den Verweis auf äußere Feinde , denen man
nur geeint angemessen begegnen könne , sowie andererseits auf politische Ziele , zu de-
ren Erreichung angesichts der eigenen Schwäche eine Schlagkraft-Maximierung durch
geeintes Auftreten unabdingbar sei.302 Beispielsweise argumentierte Hanns Göttl ( Alle-
mannia Graz ) 2009 in den Burschenschaftlichen Blättern , dass gerade „eine enge und be-
kämpfte Gemeinschaft wie die unsere ( … ) ein hohes Maß an Grundkonsens nach in-
nen ( erfordert ), um zu überleben“.303 Unter dem Verweis auf Angriffe von außen wurde
so versucht , Kritiker im Inneren in Zaum zu halten – und sahen Letztere sich dem Vor-
wurf ausgesetzt , als ‚fünfte Kolonne‘ einer als feindselig wahrgenommenen Öffentlichkeit
zu fungieren. Die eingeforderte Solidarität umfasste sowohl die völkischen Korporatio-
nen insgesamt als auch einzelne Angehörige derselben , wie Frischenschlager im Interview
ausführt : Werde eine Person , die als „einer der Unsrigen“ wahrgenommen wird , öffentlich
angegriffen
– wie etwa FPÖ-Politiker und Olympe Martin Graf
– , so schare man sich re-
flexhaft um den Betreffenden.304 Ebenso entschieden , wie öffentlich dokumentierte La-
gertreue dem Einzelnen vergolten wird , wird vermeintlich illoyales Verhalten geahndet.305
Sowohl das Motiv der äußeren Bedrohung als auch jenes der politischen Effektivie-
rung durch Bündelung der Kräfte und Zurückstellung von Uneinigkeiten standen an
der Wiege des 1994 durch die österreichischen Bünde inner- und außerhalb der DB ge-
gründeten Burschenschaftlichen Rates ( BR ). Dessen Initiatoren beklagten den Zustand
300 Aldania 1994 , 199.
301 Zu nennen ist dabei einmal mehr auch die Mensur. „Die Tatsache , daß Mensuren auf die Farben ( ‚im
Namen‘ ) der eigenen Verbindung geschlagen werden , stärkt ( … ) das Zusammengehörigkeitsgefühl un-
ter den Bundesbrüdern“, so eine Broschüre der DBÖ. Das gemeinsame Erleben und Bewältigen der
Mensur als Extremsituation sei „der eigentliche Schlüssel , der jeden Generationenunterschied , jeden
Unterschied des Standes überwindet“ ( AVSt , DBÖ 1994 , 15 ).
302 Den historischen Hintergrund für solche Plädoyers lieferte nicht zuletzt die Geschichte des ‚Dritten La-
gers‘ als eine Geschichte von inneren Zerwürfnissen , Spaltungen und Selbst-Atomisierung , die wohl auch
die zuvor zitierten Beschwörungen Anton Reinthallers zur Gründung der FPÖ motiviert haben dürften.
303 Burschenschaftliche Blätter Nr. 4/2009 , 189. Vgl. dazu auch die Bildunterschrift zum Artikel Gerhard
Schlüsselbergers ( Olympia ) in den BBl. Nr. 3/2009 , 103 : „Die burschenschaftliche Bewegung verfügt
über ausreichend Gegner. Eigentlich ein Grund für ein geschlossenes Vorgehen“.
304 Interview vom 11. 12. 2009.
305 Frischenschlager berichtet , er sei im ersten Jahr nach der Abspaltung des Liberalen Forums von der FPÖ
wiederholt auf offener Straße als „Verräter“ adressiert worden. Auch von ihm als durchaus liberal einge-
schätzte Personen hätten die LiF-Abspaltung als Verrat qualifiziert , wofür Frischenschlager ein ausge-
prägtes „Lagerbewusstsein“ verantwortlich macht ( ebd. ). Vgl. hierzu auch Jürgen Hatzenbichlers Ab-
rechnung mit Frischenschlager in der Aula ( Kapitel III.2.4 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619