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III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist
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Durch die Heranziehung Burschenschafts-interner Quellen ist es möglich , die Homo-
genität als Inszenierung ein Stück weit zu durchdringen. So liefern etwa Einzelbundchro-
niken oder Bundzeitungen wichtige Hinweise auf Meinungsverschiedenheiten innerhalb
von und zwischen Bünden. Doch liegen gute Gründe vor , auch in dieser Innenansicht
noch Verzerrungen
– im Sinne einer Differenz zwischen Ideologiebeständen und expli-
zit Artikuliertem einerseits sowie zwischen im engen Kreis und nach außen Kommuni-
ziertem andererseits – zu vermuten , die sowohl in der Verfasstheit der Quellen als auch
des Gegenstandes ( Druck zur Konformität , Angst vor Isolation und anderen Sanktionen ,
‚geistige Einheit‘ als Wert usw. ) selbst begründet liegen. Die entsprechenden Heraus-
forderungen wurden in den Kapiteln I.4 , III.2.1 und III.2.3 ausführlich thematisiert. Im
Ergebnis scheint es plausibel , dass auch an eine rein burschenschaftliche Öffentlichkeit
adressierte Quellen dazu tendieren , die Standpunkte burschenschaftlicher Amtsträger
und Meinungsführer auf Bund- und Verbandsebene überzubetonen , während die
– mög-
licherweise deutlich diverseren
– Positionen der primär geselligkeitsorientierten Mitglie-
der sowie generell Minderheitspositionen unterbelichtet bleiben.321
Ungeachtet dessen ist festzuhalten , dass auch die Kontrastierung verschiedener
schriftlicher Quellentypen und deren Ergänzung durch Interviews im Rahmen mei-
ner Forschung kaum handfeste Belege für eine größere Heterogenität erbrachten , als
sie etwa in den Protokollen der ADC-/DBÖ- und DB-Burschentage zum Ausdruck
kommt. Eine größere innere Vielfalt als in diesem Buch dargestellt , kann mit den Au-
ßenstehenden derzeit verfügbaren Mitteln dem Burschenschaftswesen in Österreich
lediglich unterstellt ( und diese Unterstellung mehr oder weniger plausibel argumen-
tiert ), nicht aber quellenverankert ( grounded ) dokumentiert werden. Eine differenzierte
Darstellung seitens der kritischen Publizistik , wie sie von burschenschaftlicher Seite
verschiedentlich eingefordert wird , ist letztendlich nicht allein vom ‚guten‘ oder ‚bösen‘
Willen und der journalistischen oder wissenschaftlichen Redlichkeit der PublizistInnen
abhängig , sondern wesentlich auch davon , ob einzelne Burschenschafter und Bünde ab-
weichende Positionen in wahrnehmbarer Weise zu äußern bzw. entsprechende Quel-
len zugänglich zu machen bereit sind. Insoweit dies nicht passiert , erscheint es nicht
nur zulässig , sondern schlicht alternativlos , von Schweigen ( als Abwesenheit wahr-
nehmbarer Distanzierung ) auf Billigung bis Zustimmung zu schließen und die Mei-
nungen der wahrnehmbaren Repräsentanten als ( zumindest einigermaßen ) repräsen-
tative Meinungen zu werten.
321 Inwieweit diese letztgenannten Positionen im Kreis der Bundesbrüder auch artikuliert werden , wäre
mutmaßlich aus Quellen zu ersehen , die Verbindungs-fremden Personen jedenfalls bislang grundsätz-
lich nicht zugänglich gemacht wurden ( wie etwa Conventsprotokolle ). Darüber hinaus könnten über
weitere Interviews auch im informellen Rahmen sich manifestierende Meinungsunterschiede ( auf die
etwa Scheichl im Interview vom 8. 6. 2012 hinweist ) beleuchtet werden , was künftigen Arbeiten vorbe-
halten bleiben muss.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619