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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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geistes“ ermöglicht. Standhaftigkeit erscheint in dieser Sicht als Existenzbedingung
der Burschenschaften als solche.345
Die wertkonservative Haltung der Burschenschaften wurzelt nicht zuletzt im gegen
Ende des 19. Jahrhunderts das Burschenschaftswesen voll erfassenden Unbehagen an der
Moderne. Zur Beschwörung bestimmter ‚ewiger‘ Werte ( wobei ‚Vaterland‘ die ‚Freiheit‘ ,
insbesondere in deren individualistischer Auslegung , immer stärker in den Hintergrund
drängte ) gesellte sich ein ausgeprägter Kulturkonservatismus , welcher wiederum mit
kulturellem Pessimismus einherging. So berichtet die Teutonen-Chronik von 1968 , dass
der Burschenconvent 1920 „( g )egen gewisse , von fremdvölkischer Seite eingeführte Ex-
travaganzen , z. B. das aufkommende sogenannte moderne Tanzen , ( … ) energisch Stel-
lung genommen“ habe.346 Dass die folgenden Jahrzehnte wenig Veränderung brachten ,
deutet Scheichl in seiner Rede von 1966 an , indem er das Verhältnis der ‚freiheitlichen‘
Akademikerschaft „zu moderner Kunst und moderner Literatur“ kritisiert : „( D )eren
Streben nach der geistigen Bewältigung einer neuen Welt durch neue Formen“ werde
„von vielen immer noch pauschal als ‚Entartung‘ abgetan“. Diese Haltung sei „in unse-
rem Kreis geradezu die offizielle“.347 Die DBÖ-Festschrift von 1959 konnte erst nach
erheblichen Schwierigkeiten realisiert werden , „eine Druckerei zu finden , die noch in
alter deutscher Fraktur setzt“ – und bei den Aldanen löste die Weigerung von Schrift-
wart Rainer Pawkowicz , die Protokolle der Burschenconvente ( in Aldanen-Termino-
logie : Burschenthinge ) „in der traditionellen Kurrentschrift“ abzufassen , eine „Krise“
aus , die in der Amtsenthebung des Modernisierers gipfelte.348
Dass Wert- und Kulturkonservatismus sowie darauf aufbauende Feindbildbestim-
mungen den völkischen Korporationen – verstärkt v. a. ab 1990 – den Brückenschlag
zum katholisch-konservativen Spektrum erleichterten ( oder Erstere dies zumindest
hofften ), sei an dieser Stelle nur beiläufig erwähnt.349 Mit diesen Kreisen teilten die
Burschenschaften Österreichs nach 1945 auch einen gewissen bürgerlich-konservati-
345 AVSt , DBÖ 1994 , 3.
346 Teutonia 1968 , 76.
347 Germanenmitteilungen , März 1967 , 7 ( Herv. i. O. ). Mit dieser Identifikation einer quasi-offiziellen Linie
beschreibt Scheichl , was von mir als dominante bzw. hegemoniale Meinung bezeichnet wird : einen
von Meinungsführern verfochtenen , am Zentralorgan ( Aula ) ablesbaren und von Nonkonformisten wie
Scheichl als repressiv empfundenen burschenschaftlichen Mainstream ( vgl. die Abschnitte III.2.1 und
III.2.3 ).
348 BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Niederschrift der gemeinsamen Sitzung des ADC- und Altherrentages 1959 , 3
bzw. Aldania 1994 , 195.
349 Die Ausarbeitung dieses Verhältnisses muss künftigen Arbeiten vorbehalten bleiben. Vgl. exemplarisch
Andreas Mölzers Bestimmung des „gemeinsamen Gegner( s ) der Katholisch-Konservativen und der
National-Liberalen“, nämlich der „Homosexuellen-Ehe und d( er ) multikulturellen Workshops in den
Schulen“ ( zit. n. Gassner/Zellhofer 1994 , 101 ), oder die Untertitelung der von Mölzer gegründeten Wo-
chenzeitung Zur Zeit als „die konservative Wochenzeitung für Österreich“.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619