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III.5 Wandel und Beharrung
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ven Habitus. Provozierten die frühen Burschenschafter noch mit langem Haar und
deutscher Tracht , fielen sie nicht erst in der Zweiten Republik in Umgangsformen , Stil
und Auftreten eher durch „hochbürgerliche( s ), ( … ) geradezu überkultivierte( s )“350
Verhalten auf. Ihr ausgesprochen affirmatives Verhältnis zu den Konventionen der
‚gehobenen Gesellschaft‘ ( die ihrerseits die Gebräuche eben jenes Adels imitierte , in
dessen Herausforderung die frühe Burschenschaftsbewegung ihren Daseinszweck er-
blickt hatte ) dokumentierten sie etwa mit Einladungskarten , die „Euer Hochwohl-
geboren“ adressierten.351
Gesellschaftlicher Fortschritt und burschenschaftliche Reform
Vor dem Hintergrund ihrer konservativen Grundprägung standen die Burschenschaf-
ten in Österreich der Idee von Fortschritt im Untersuchungszeitraum stets reserviert
gegenüber.352 Positiv auf Fortschritt bezog man sich vorrangig in historischen Abhand-
lungen ( fortschrittliche Burschenschafter gegen reaktionäre Fürsten353 , fortschrittliche
Nationalsozialisten [ sic ] gegen reaktionäre Katholiken354 ). Selbst dort , wo eine geistige
Avantgardefunktion der Burschenschaften für die Gesamtgesellschaft reklamiert wurde ,
blieben die eigenen ideologischen Kernbestände unangetastet.355 Selten wurde , wie von
einem AH Gothias zu deren 95. Stiftungsfest , in Bezug auf die Burschenschaften selbst
vor „Erstarrung“ gewarnt und gefordert , „der Form neuen Inhalt ( zu ) geben“356 – po-
pulärer war die umgekehrte Formel , „( i )mmer aufs Neue eine Form zu schaffen , wel-
che der Idee nachkommt“357. Dieses Ansinnen blieb insofern prekär , als , wie im Laufe
dieses Unterkapitals III.5 noch gezeigt werden wird , selbst Änderungen an den äuße-
ren Formen auf großen Widerstand stießen.
Der Standpunkt , die burschenschaftlichen Werte für zeitlos zu erklären , stellte in
der Zweiten Republik die Standardreaktion auf schon früh auftretende Verdächtigun-
350 So Mölzers Charakterisierung des Publikums am Ball des Wiener Korporations-Rings ( WKR ) ( http://
andreasmoelzer.wordpress.com/2011/01/31/rechts-walzer , Blogeintrag vom 31. 1. 2011 ).
351 BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Ehrenkarte für den Festkommers des ADC-Tages 1958 bzw. Einladung zu den
Festveranstaltungen des ADC-Tages 1959.
352 Für ein besonders drastisches , im Inhalt jedoch nicht untypisches Beispiel burschenschaftlicher Fort-
schrittsfeindlichkeit vgl. die Einlassungen von Gustav Jonak in den Germanenmitteilungen , Februar 1973 ,
1–5 , hier : 4 f. Für ein seltenes Beispiel einer Selbstbezeichnung als fortschrittlich jenseits rein histori-
scher Bezüge vgl. http://stiria-graz.at/index.php?option=com_content&view=article&id=15&Itemid=17.
353 Vgl. etwa Aldania 1994 , 10 f., 19 , 21 ; Wagner 2009 , 41 bzw. 42.
354 Vgl. Aldania 1994 , 133 und 231 ; Alemannia 1962 , 19.
355 Vgl. Steiner 1974 , 13 und Oberösterreicher Germanen 1994 , 176.
356 BAK , DB 9 , I. Wien , Gothia , Bericht über das Sommersemester 1956 , 1.
357 Memorandum der Oberösterreicher Germanen an alle DBÖ-Bünde von 1967 , wiedergegeben in Ober-
österreicher Germanen 1967 , 166 ; vgl. auch ebd., 32.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619