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III.5 Wandel und Beharrung
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der Verbandsebene hatte der Vorstoß der Oberösterreicher allerdings Aktiven einen Vor-
wand geliefert , Reformimpulse in die eigene Verbindung zu tragen. Dies geschah je-
denfalls bei den Innsbrucker Germanen. Hier sprachen Aktive sich etwa offen dafür
aus , „dem Zeitgeist und der veränderten , neuen Lebensart Rechnung“ zu tragen. Eine
Erhebung von Reformwünschen im Kreise der Aktivitas zu etwaigem Reformbedarf
bildete die Grundlage für zwei interne Diskussionsabende.393 Im Zuge dieser Debat-
ten wurden u. a. Forderungen nach einer Reduzierung der Pflichtmensuren , einer Ab-
schaffung der Hatzen ( vgl. hierzu den Exkurs im folgenden Unterabschnitt ), einer ge-
nerellen Minderbewertung selbstbezüglicher Angelegenheiten inklusive des Fechtens ,
einer Reduzierung der Verpflichtungen für Aktive , einer Aufwertung politischer Be-
tätigung und ansatzweise sogar nach ideeller Weiterentwicklung laut : „Es gilt das Ge-
dankengut der Urburschenschaft in unsere Zeit zu transformieren.“394 Nach Bekannt-
gabe dieser Überlegungen im internen Mitteilungsblatt sahen die jungen Germanen
sich allerdings aufgrund von Altherren-Zuschriften veranlasst zu bekunden , dass man
keineswegs „an den Grundfesten unserer Burschenschaft rütteln“ wolle.395 Der Dis-
kussionsprozess wurde dennoch fortgeführt , versandete aber schließlich als ( wesent-
lich ) von Aktiven getragene Initiative vor dem Hintergrund der Einstellung des Ak-
tivbetriebes aus Nachwuchsmangel.396
Eine verbindungsstudentische Öffentlichkeit musste spätestens 1966 Notiz von den
jungen Innsbrucker Reformern nehmen , als einer ihrer prononciertesten Exponen-
ten , Sigurd Scheichl , den Tag der freiheitlichen Akademiker in Linz adressierte.397
Scheichl plädierte für nichts weniger als ein „radikales Neudurchdenken unserer geis-
tigen Grundlagen“398 , anstatt sich „einem kritiklosen Konservativismus“ hinzugeben
oder gar „geschichtliche Entwicklungen rückgängig“ machen zu wollen : dies sei „reak-
tionäres Wunschdenken“, das Weiterentwicklung hemme. In der „Zeitferne“ des ‚natio-
nalen‘ Akademikertums erkannte Scheichl die „Wurzel unserer gegenwärtigen Krise“.399
Anders als in anderen politischen Lagern fänden im ‚freiheitlichen‘ keine Richtungs-
393 Vgl. die Germanenmitteilungen , Dezember 1963 , 5–7 ( Zitat : 6 ).
394 Vgl. die Germanenmitteilungen , Februar 1964 , 3–6 ( Zitat , Urheber Manfred Lesch : 3 ).
395 Germanenmitteilungen , Mai 1964 , 1.
396 Vgl. die Germanenmitteilungen , Dezember 1967 , o.
S. bzw.
– zu einem letzten Aufflackern
– PBW , Pro-
tokoll des Generalconvents der Germania Innsbruck vom 27. 6. 1971 , 2.
397 Bereits am Germanen-Stiftungsfest 1962 hatte Scheichl als Redner u. a. gegen „übergesteigerte( n ) [ sic ]
Nationalismus“ ( PBW , Abschrift der Rede , versandt als Beilage zum Schreiben Scheichls an seine Bun-
desbrüder vom 25. 6. 1962 , 2 ) und Rückwärtsgewandtheit Stellung bezogen und das Projekt eines eth-
nisch homogenen , pangermanischen Nationalstaats für überholt erklärt ( vgl. ebd., 3 bzw. 7 f. ).
398 Germanenmitteilungen , März 1967 , 6–19 , hier : 6.
399 Ebd., 7. Eine Mitverantwortung weist Scheichl dabei den Weltkriegs-Siegermächten zu : Diese hätten
„viele aufrechte Männer“ an den Rand des Gemeinwesens und damit „in die radikalste Opposition ge-
drängt , wo ( … ) das starre Festhalten am Überkommen [ sic ] am besten gedeiht“ ( ebd., 15 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619