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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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die gesellschaftliche Kernfunktion des Konservatismus ( inklusive des burschenschaft-
lichen ) als Ideologie und politische Bewegung benannt wäre ( vgl. u. a. Kapitel I.5 ).
Mit Blick auf die innere Ausgestaltung der Burschenschaften und ihre Rolle bei der
Ermöglichung oder Verhinderung von Wandel ist auf das in Kapitel I.2 beschriebene
handlungstheoretische Modell zu verweisen , demzufolge ein Kollektiv seinen spezi-
fischen Charakter nicht in der simplen Addition der ihm zugehörigen Individuen er-
langt , sondern durch deren spezifische Verkettung , durch die Prozesse und Produkte
ihrer Interaktion. Schon das beständige Einströmen neuer Mitglieder in die Verbin-
dungen bringt insofern eine gewisse Veränderungswahrscheinlichkeit mit sich , als die
Neuen zunächst mit den bundintern geltenden Denk- und Verhaltensnormen vertraut
gemacht werden müssen. Selbst unter Berücksichtigung chronischer Rekrutierungspro-
bleme und eines auf ideologische und habituelle Assimilation ausgelegten Einpassungs-
prozesses wäre gemäß der Ausführungen von Kapitel I.2 davon auszugehen , dass die
Neumitglieder auch ihrerseits neue Impulse in die Korporation tragen , Normen nicht
nur übernehmen , sondern auch ( und sei es nur durch missglückte Imitation ) zu ihrer
Transformierung beitragen. Die Konstanz , die das Burschenschaftswesen in Österreich
nichtsdestotrotz über die Jahrzehnte und Alterskohorten hinweg aufweist , belegt zu al-
lererst die Effektivität burschenschaftlicher Erziehung und Selektion in Hinblick auf
die Tradierung von Verhaltensnormen und Ideen. Sie gewährleisten – jedenfalls bis-
lang – , dass neu hinzugekommene Individuen das burschenschaftliche Kollektiv zu-
mindest weniger verändern , als sie nötigenfalls von diesem verändert werden.457
In puncto Auslese kommt dabei ein Spezifikum der österreichischen Bünde gegen-
über den ( im Durchschnitt größeren ) bundesdeutschen Burschenschaften zum Tra-
gen : der hohe Stellenwert von Verwandtschaftsbeziehungen und völkischen Vorfel-
dorganisationen für die eigene Reproduktion. Er hat zur Folge , dass das Gros der
Neu ankömmlinge bereits durch Elternhaus und/oder Pennalverbindung , Turnverein
oder dergleichen in einer Weise vorgeprägt ist , die eine reibungslose Einpassung in den
Bund maßgeblich erleichtert. Besonders hohe Kontinuität erreichen just die am wei-
testen rechts stehenden Bünde , die Scheichl zufolge von entsprechend vorgeprägten
Individuen auch zielsicher angesteuert würden und für die eine „besonders starke Bin-
dung der Bundesbrüder untereinander“ typisch sei.458 Mitverantwortlich dafür dürfte
457 Hierbei ist zu bedenken , dass die unter III.3.2 beschriebene wechselseitige Erziehungsleistung nicht als
simpler Austausch und damit Angleichung der Individualitäten ihrer Akteure zu verstehen ist , sondern
diese sich gerade auch dadurch in Beziehung setzen , dass sie extern vorgegebene Normen aneinander
exekutieren. Auch Meinungsführer erwerben ihren Status nicht allein über Fähigkeiten wie Eloquenz
oder Charisma. Eine feste Verankerung auf dem Boden der dominanten burschenschaftlichen Überlie-
ferung ist notwendige Voraussetzung ( vgl. Abschnitt III.2.3 ).
458 Interview vom 8. 6. 2012. Der Oberösterreicher Germane Hans Christ argumentierte bereits in den
1980er-Jahren , dass das öffentliche Bild von Burschenschaften „vernünftige Studenten“ abschrecke ,
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619