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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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den katholischen Verbindungen tummelten. Zum Dritten ergab sich aus diesen beiden
Heraus forderungen eine dritte : Zwischen dem grundsätzlichen Nein zur Zweiten Re-
publik in ihrer realen Ausgestaltung und der gleichzeitigen Beibehaltung eines prekär
gewordenen gesellschaftlichen Führungsanspruches tat sich ein Spannungsverhältnis
auf , das für das politische Wirken von Burschenschaftern insbesondere in Parteifunk-
tionen langfristig prägend werden sollte ( vgl. Kapitel VI.2.2 ).
Die grundsätzliche Positionsbestimmung zur real existierenden Zweiten Repu blik
fiel aus der unter Burschenschaftern in Österreich dominanten Perspektive nicht schwer.
Der neue Staat erschien in dieser Perspektive als völkerrechtliche Verkörperung der
deutschen Niederlage , der dadurch verwirkten Ambitionen auf deutsche Hegemonie
und einer austriazistischen , den deutsch-völkischen Gedanken verwerfenden Ideolo-
gie. Auf einer praktischeren Ebene erschien er als jene Instanz , die ( zumindest anfangs )
viele Burschenschafter als ehemalige Nationalsozialisten sanktionierte und sie ( jeden-
falls vorübergehend ) von gewissen Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe aus-
schloss. Wenn auch die leidenschaftliche Ablehnung des österreichischen Staates mit
dem Abzug der Alliierten eine gewisse Mäßigung erfuhr , blieb doch der Antagonis-
mus in der Frage des ‚Volkstumsbekenntnisses‘ notwendig bestehen , handelte es sich
doch dabei für Burschenschafter wie auch für die ihnen gegenüberstehenden staatstra-
genden Eliten um eine Fahnenfrage im wahrsten Sinne des Wortes. Mit dieser Frage
überdauerte aufseiten der Burschenschafter auch eine Selbstwahrnehmung als Verfolgte
der kurzlebigen Entnazifizierungs-Bemühungen , da man nicht nur ( Neo-)National-
sozialistInnen , sondern „alle( ) deutschbewußten Österreicher überhaupt“ im Visier des
Staates wähnte. Zusätzlich rückte die Aufteilung des Landes , insbesondere der politi-
schen und wirtschaftlichen Machtpositionen , unter den Großparteien in den Vorder-
grund burschenschaftlicher Österreich-Kritik.505
Aus burschenschaftlicher Sicht beruhte die Reserviertheit gegenüber dem österrei-
chischen Staat auf Gegenseitigkeit. Waren die völkischen Akademiker Scheichl zufolge
schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit „in die radikalste Opposition gedrängt“ wor-
den ( vgl. Abschnitt III.5.3 ), notierte er auch noch anno 1966 Bestrebungen der „anderen“,
„uns in dieser Opposition und Isolierung ( zu ) lassen“.506 Unbestreitbar ist , dass die für
das völkische Lager am ehesten repräsentativen Parteien , VdU und FPÖ , bis 1983 trotz
durchaus vorhandener Ambitionen von der Regierungsgewalt auf Bundesebene ausge-
505 Burschenschaftliche Blätter Nr. 4 / 1954 , 103 f. Fritz Stüber ( ursprünglich Vandalia , ab 1962 Gothia Wien )
äußert sich hier kritisch sowohl über angebliche politische Verfolgung als auch über das österreichische
Proporzsystem. Das ambivalente Verhältnis der Burschenschaften bzw. des völkischen Lagers überhaupt
zum österreichischen Staat nach 1955 kommt beispielhaft in der Entschließung der Arbeitsgemeinschaft
der freiheitlichen Akademikerverbände zum Staatsvertrag von 1955 zum Ausdruck ( BAK , DBs 1477 ). Vgl.
hierzu auch die Haltung des damaligen Nationalratsabgeordneten Stüber ( Stüber 1974 , 271–279 ).
506 Germanenmitteilungen , März 1967 , 15.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619