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III.6 Selbstbild: Gegen-Elite
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schlossen blieben. Das Ausmaß individueller Diskriminierung im Berufsleben ( öffent-
licher Dienst und staatsnahe Bereiche ) oder im Zugang zu öffentlichen Leistungen wie
z. B. Sozialwohnungen ist kaum präzise bestimmbar507 , die jahrzehntelange Praxis „aus-
gedehnte( r ) Ämterpatronage und ( … ) bis in den Privatbereich reichende( r ) Klientel-
versorgung“ durch die Großparteien SPÖ und ÖVP jedoch wohl dokumentiert.508 Die
damit einhergehende massive Benachteiligung von Personen ohne ÖVP- oder SPÖ-Par-
teibuch betraf freilich nicht allein die deutsch-völkische Intelligenz ( die sich weitgehend
in den freien akademischen Berufen schadlos halten konnte ), wiewohl diese aufgrund ih-
rer anti-austriazistischen Einstellung in erhöhtem Illoyalitätsverdacht stand.
Die von Scheichl gleichzeitig mit der fortbestehenden Ausgrenzung konstatierte , hö-
here Bereitschaft des korporierten Nachwuchses , „das Gespräch mit Andersdenkenden
wieder anzuknüpfen“, kam langfristig nicht recht zum Tragen.509 Stattdessen wurde , je-
denfalls aufseiten der Burschenschafter , weiterhin eine Renegatenmentalität kultiviert ,
begünstigt nicht zuletzt durch das Ideal der Grundsatztreue auch und gerade gegen Wi-
derstände. Eher als das Gespräch mit Andersdenkenden knüpfte man an die eigene Ge-
schichte von Aufstand und Subversion an , nahm – im Unterschied zur „älteren Epoche
burschenschaftlicher Geschichtsdarstellung in Österreich“
– wieder verstärkt Bezug auf
„die ‚guten‘ Traditionen von 1848“ und spann dabei auch den einen oder anderen Mythos
( weiter ).510 Weiterhin begriff man sich als Opposition nicht nur im , sondern in gewis-
ser Weise auch gegen das politische System der Zweiten Republik und seine tragende
Ideologie. Diese Positionierung der Burschenschaften außerhalb des politischen Estab-
lishments und der Proporzstrukturen verlieh ihnen rebellischen Appeal und war für ihre
relativ erfolgreiche Nachwuchsrekrutierung bis Mitte der 1960er-Jahre fraglos mitver-
507 Für einen methodisch wenig überzeugenden und auf prekärer Datengrundlage fußenden Versuch der
Quantifizierung von Wandel in der Berufsstruktur der völkischen Verbindungen vgl. Stimmer 1997
( Band II ), 1013 f., 1016 und 1019. Aussagekräftiger – wenn auch nur für einen Teilbereich – erscheint
eine 1963 vom DBÖ-Referenten für burschenschaftliche Arbeit präsentierte interne Umfrage , wonach
bundesweit nur 15 Burschenschafter als Universitätsprofessoren oder -dozenten tätig seien , was gegen-
über den Lehrkörpern der Ersten Republik und des Nationalsozialismus einen groben Einschnitt be-
deutete ( vgl. BAK , DB 9 , E. 4 [ A3 ], Bericht des Referenten über die Amtsperiode 1962/63 , Anlage zur
Niederschrift des DBÖ-Tages 1963 , 3 ).
508 Hanisch 1994 , 443. Dieser weiter zu den Begleiterscheinungen der Proporzdemokratie in Österreich
nach 1945 : „Wegen der ‚Versäulung‘ der Politik werden alle Felder der Gesellschaft politisch überformt
und in die Anziehungskraft der Lager gezogen. Es gibt so gut wie keine gesellschaftlichen Interessen ,
die nicht in die Magnetstrahlung der Parteien geraten ; von den Sportvereinen bis zu den Wohnbau-
gesellschaften , von den Automobilklubs bis zu den alpinen Schutzhütten : alles ist parteipolitisch zu-
ordenbar. ( … ) Immer muß gefragt werden , wohin jemand gehöre : rot oder schwarz ? ( … ) Der politi-
schen Opposition ( … ) bleibt ein geringer Spielraum , ja sie wird dezidiert aus diesem politischen Spiel
ausgeschlossen.“ Vgl. zur Proporzdemokratie auch ebd., 442–455 sowie Lehmbruch 1967.
509 Germanenmitteilungen , März 1967 , 15.
510 Cerwinka 2009 , 109. Zur „burschenschaftlichen Geschichtsumschreibung“ vgl. Schiedel 2009.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619