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III.6 Selbstbild: Gegen-Elite
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völkischen Kollektivwillen ) sanktioniert wurde , so sehr gefielen die Burschenschafter
Österreichs sich seit jeher in rebellischen Posen nach außen. Ihre Selbstwahrnehmung
im Verhältnis zu ihrer gesellschaftlichen Umgebung bringt ein Flugblatt des Wiener
Korporations-Rings ( WKR ) von 2007 zum Ausdruck :
Wien , Oktober 2007 ( … ) politisch ‚korrekter‘ Sprachgebrauch , amtliches Geschichtsbild , ge-
richtlich geschützte Wahrheit , verordnete Verdummung. ( … ) Alle Köpfe sind besetzt. Alle ?
Nicht ganz ( … ) Ein unbeugsamer Haufen hört nicht auf Widerstand zu leisten : Vom Kai-
ser gehaßt ( zu sozial ), von der ersten Republik bekämpft ( zu marktwirtschaftlich ), im Stän-
destaat verboten ( zu national ), im dritten Reich aufgelöst ( zu demokratisch ), in der zweiten
Republik ausgegrenzt ( zu wenig umerzogen ). Wir waren immer unbequem – Revolutionäre
aus Tradition. Nein zu einem Verbot der Burschenschaften !514
Diese Darstellung burschenschaftlicher Geschichte wäre auf der Faktenebene in meh-
reren Punkten zu korrigieren. Das gespannte Verhältnis der Burschenschaften zum
Hause Habsburg beruhte spätestens ab den 1870er-Jahren weniger auf ihrem sozialen
Engagement als vielmehr auf ihrer Ablehnung der österreichischen Monarchie , die sich
wiederum weniger aus demokratischen Motiven speiste denn aus ‚nationalen‘. In den
Worten Günter Cerwinkas : „Seit 1866/67 bzw. 1870/71 waren die politischen Ziele des
Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn und die der Burschenschaft nicht mehr verein-
bar.“515 „Von der ersten Republik“ wiederum wurden die Burschenschaften überhaupt
nicht „bekämpft“, vielmehr partizipierten sie über zahlreiche Einzelmitglieder und die
ihnen nahestehenden Parteien regelmäßig an deren Regierungen.516 Bekämpft wurde
umgekehrt die Republik durch die Burschenschafter , die schon zu Beginn der 1930er-
Jahre zu einem Gutteil ins nationalsozialistische Lager und zuvor bereits in jenes von
Heimwehr und Heimatschutz gewechselt waren. Nicht wenige unter ihnen hatten die
Demokratie von Anfang an nur als Provisorium und unter Vorbehalt akzeptiert.517 Der
Hintergrund der ablehnenden Haltung des Ständestaats ist im Ansatz zutreffend wie-
dergegeben
– freilich aber gab es unter Dollfuß und Schuschnigg kein pauschales Verbot
der Burschenschaften und ist die Formulierung „zu national“ eher geeignet , die Grund-
514 PBW , Flugblatt des WKR vom Oktober 2007 ( Herv. entf. ). Stiria Graz veröffentlichte 2009 einen über
weite Strecken wortidenten Text , explizit gemünzt auf „( d )ie Burschenschaft“, auf ihrer Website ( http://
www.stiria-graz.at/index.php?option=com_content&view=article&id=12&Itemid=14 ). Auch das Aus-
gangsflugblatt bezieht sich , wie aus dem letzten zitierten Satz hervorgeht , auf die Geschichte der Bur-
schenschaften.
515 Cerwinka 2009 , 95. Die erwähnte Motivlage wird auch durch die gleichzeitigen Ehrerbietungen öster-
reichischer Bünde für Bismarck unterstrichen , der kaum demokratischer herrschte , aber zumindest eine
‚kleine‘ deutsche Einigung zuwege gebracht hatte.
516 Vgl. über die bisherigen Ausführungen dazu hinaus Stimmer 1997 ( Band II ), 920–932.
517 Vgl. ebd. ( Band I ), 496 und 500–509 sowie Abschnitt III.8.1.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619