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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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Damit ist bereits angedeutet , dass die geistige Opposition der Burschenschaften sich
nicht nur auf die konkrete Staatsraison der Republik Österreich bezog , sondern – in
Fortführung einer seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert im burschenschaftlichen La-
ger vorhandenen kulturpessimistischen Tendenz – auch allgemeine Tendenzen gesell-
schaftlicher Entwicklung einschloss : Materialismus , ‚Vermassung‘ , ‚Bindungslosigkeit‘
und Hedonismus anstelle von Volksverbundenheit und Pflichtgefühl zählten dabei zu
den häufig genannten Elementen.534 Als hauptsächlicher Erklärungsfaktor der so be-
zeichneten Entwicklungen fungierte in der Restaurationsphase der völkischen Verbin-
dungen nach 1945 die vermeintliche alliierte ‚Umerziehung‘.535 Dass diese in Österreich
anders als in Deutschland weitestgehend ausgeblieben war536 und die österreichische
Nachkriegsgesellschaft in vielerlei Hinsicht bestärkende Signale an die Burschenschaf-
ten sendete
– etwa durch die Besuche von Rektoren und selbst Ministern auf burschen-
schaftlichen Festveranstaltungen
– , tat der Eigenwahrnehmung als Ausgegrenzte keinen
Abbruch. Später rückte , in Reaktion auf die Studierendenbewegung der 1960er- und
1970er-Jahre , der Verweis auf eine von ‚1968ern‘ – gleichsam in Fortführung des Zer-
setzungswerkes der Alliierten
– angeblich etablierte ‚linke Meinungshegemonie‘ in den
Vordergrund ( vgl. Abschnitt IV.2.6 ). Beide Erklärungs modelle werden im Grunde bis
in die Gegenwart tradiert und liegen auch der Realitätswahrnehmung zugrunde , die in
dem zuvor zitierten Flugblatt des WKR von 2007 zum Ausdruck kommt : Burschen-
schafter stemmen sich als einsame Renegaten gegen „politisch ‚korrekte( n )‘ Sprachge-
brauch“, ein „amtliches Geschichtsbild“, „gerichtlich geschützte Wahrheit“ ( vulgo Ver-
botsgesetz ) und „verordnete Verdummung“ – und werden „ausgegrenzt“, weil sie „zu
wenig umerzogen“ seien.537
Im Widerstand gegen die so wahrgenommenen Entwicklungen gelangte das alther-
gebrachte Standhaftigkeitsideal zu voller Blüte. Gärtner beschwor geistige Widerstän-
digkeit als burschenschaftliche Tradition : „In den zurückliegenden 100 Jahren mußten
damals eine „ ‚Umwertung der Werte‘ “ ( Aldania 1994 , 71 ). Eine „Umkehrung der Begriffe von Ehre und
Treue“ nach 1945 diagnostizierte in etwa zeitgleich der Liberte Peitler ( zit. in Libertas 1967 , 286 ).
534 Vgl. etwa F. Stefan 2009 , 10 ; Alemannia 1962 , 25 ; Germanenmitteilungen , Februar 1964 , 8.
535 So führt Teutonia aus , dass Werte wie „Ehre , Pflichtbewußtsein , Opferbereitschaft ( … ) im Wege feind-
licher ‚Umerziehung‘ ( … ) mit Absicht herabgesetzt“ worden seien. Ziel sei die Schwächung Deutsch-
lands gewesen , hätten doch erst diese Werte „den deutschen Soldaten zu höchstem Einsatz befähigt( )“
( Teutonia 1968 , 111 ).
536 Dies notieren auch Vertreter der extremen Rechten beidseits der deutsch-österreichischen Grenze ( vgl.
die Beispiele bei Schiedel 2007 , 53 ).
537 PBW , WKR-Flugblatt vom Oktober 2007. Zum hiermit eng verbundenen Kampf gegen von „Gutmen-
schen und deren Vasallen“ vermeintlich aufgerichtete Sprechverbote vgl. die Aussagen von BG-Spre-
cher Gerhard Schlüsselberger ( Olympia ) in den Burschenschaftlichen Blättern Nr. 3/2009 , 103. Schlüssel-
bergers Bundesbruder Norbert Nemeth verglich das Verbotsgesetz in der Olympia-Festschrift von 1996
allen Ernstes mit den ‚Nürnberger Rassengesetzen‘ ; „altes Unrecht wurde durch neues ersetzt !“, so der
spätere Direktor des FPÖ-Parlamentsklubs ( Nemeth 1996 , 150 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619