Seite - 262 - in „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“ - Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Bild der Seite - 262 -
Text der Seite - 262 -
III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
262
hältnis der Verbindungen zur an den Universitäten Fuß fassenden nationalsozialistischen
Bewegung. Die NS-Studenten wurde vom Delegiertenconvent der Wiener Burschen-
schaften 1932 nicht etwa aufgrund ihrer antidemokratischen Ausrichtung oder gar ihrer
rassenantisemitischen Hetze kritisiert , sondern für die von ihr vermeintlich betriebene
„Proletarisierung der Hochschulen“. Dass sich die Burschenschaften im selben Atemzug
„zur Erneuerung“ bekannten , verweist auf ideologische Übereinstimmung.542 Es war vor
allem das Plebejische , das vermeintlich Sozialistische am Nationalsozialismus , das in
burschenschaftlichen Kreisen Anstoß erregte. Auch Aldania kritisiert rückblickend
„( d )ie Nazis“ für ihr „präpotentes und rüpelhaftes Benehmen“, „das mit unserem aka-
demischen Komment immer weniger zu vereinbaren war“.543 Entgegen dem National-
sozialistischen Deutschen Studentenbund ( NSDStB ), der bloß den Typus des „parteinahen
Einheits studenten“ angestrebt habe , habe man als akademische Korporation „nach Aus-
leseprinzip , durch charakteristische [ sic ] und geistige Auseinandersetzung“ erzogen.544
Eine Reaktualisierung erlebte solcher Dünkel , als die Burschenschaften sich in den
1970er-Jahren an den Hochschulen erneut von Mitstudierenden herausgefordert sa-
hen , die nicht ihren Habitus teilten. Abschätzige Klassifizierungen politischer Geg-
nerInnen als „Pöbel( )“ oder spießbürgerlich-pikierte Ereiferung über die „wuchernden
Bärte( ) und strähnig-langen Haare( )“ der neuen Kommilitonen bildeten nur den An-
fang.545 Die Bildungsexpansion , im burschenschaftlichen Sprachgebrauch zumeist mit
dem pejorativ gemeinten Begriff der ‚Massenuniversität‘ verbunden , stellte tertiäre Bil-
dung als Privileg und die daran geknüpften ökonomischen und sozialen Vorteile zumin-
dest ein Stück weit infrage und wurde damit von bisherigen Inhabern dieses Privilegs
als Bedrohung empfunden. Zwischen den Studienjahren 1969/70 und 1979/80 erhöhte
sich die Gesamtstudierendenzahl in Österreich um mehr als das Doppelte , der Frau-
enanteil stieg von einem Viertel auf fast 40 Prozent.546 Die Reaktion der Burschen-
schaften erfolgte zweistufig. Einerseits wurde die soziale Öffnung der Hochschulen an
sich kritisiert , insbesondere unter Verweis auf angeblichen Niveauverlust der akademi-
schen ( Aus-)Bildung , eine Überdehnung der bestehenden Strukturen und bisweilen
auch auf eine vermeintliche „Überflutung der Hochschulen mit vielen Unfähigen und
Ratlosen“.547 Andererseits wurde – mit Blick auf den durch das Proporzsystem ohne-
542 Alemannia 1962 , 18.
543 Aldania 1994 , 140.
544 Ebd., 128. Den Grund für die Vorbehalte des Regimes gegenüber den Korporationen ortet Aldania al-
lerdings im „elitäre( n ) Gehabe der Corps“, von dem die „sozialistisch eingestellten Machthaber( )“ ( ge-
meint sind die Nationalsozialisten ) in Unkenntnis der Verbindungsszenerie auf alle anderen Verbände
geschlossen hätten ( ebd., 141 ).
545 Teutonia 1968 , 106 bzw. Der Ring Nr. 1 / 1969 , 13.
546 Vgl. Österreichische HochschülerInnenschaft 2006 , 33.
547 Horst Albert Glaser , nachgedruckt in Aula Nr. 6 / 1989 , 22. Vgl. weiters etwa Steiner 1974 , 12 ( „Der Feind
[ … ] heißt Nivellierung , er heißt Vermassung , [ … ] Abbau des Leistungsdenkens“ ); Stefan 1989 , 99 ;
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619