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III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt
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Kontakt mit dem vermeintlichen Gegenüber , dem Anderen des Volkes zu , an dem die
Spezifika des Eigenen deutlich werden soll und das doch im Zuge der negativen Spie-
gelung selbst erst ( re-)produziert wird. Diesen Vorgang illustriert Norbert Burger mit
seinem Hinweis , man könne ‚Volkstum‘ nicht definieren , sondern es lediglich „an der
Grenze des Volkes bei der Berührung mit anderen Völkern empfinden“.616 Burger un-
terstreicht damit sowohl die von völkischem Denken erbrachte Konstruktionsleistung
als auch dessen irrationale , ja antirationale Basis.
Dementsprechend unzugänglich zeigte sich das in Österreich vorherrschende bur-
schenschaftliche Bewusstsein für historische Evidenz , wonach die Idee der deutschen
Nation sich in der Frontstellung gegen den französischen ‚Erzfeind‘ und nachhaltig
v. a. im Zuge der sogenannten Befreiungskriege gegen das bonapartistische Frankreich
herausgebildet hatte. Vielmehr sei , so Günther Berka , „( n )ationaldeutsche Gesinnung
( … ) das Ergebnis einer natürlichen ( … ) Verbundenheit mit dem eigenen Volke“ und
nicht „durch geschichtliche Ereignisse entstanden“; den deutschen Nationalgedanken
gäbe es schon , „seitdem germanische Stämme sich zum deutschen Volke vereinigt ha-
ben“.617 Burschenschaftliche Meinungsführer wie Berka gaben sich nach 1945 alle Mühe ,
ihre völkischen Setzungen quasi-wissenschaftlich zu untermauern – freilich unter Be-
rücksichtigung ( oder teilweise auch Produktion ) nur jener historischen ‚Fakten‘ , an die
zu glauben man bereit war. Ideologischer Betrachtungsweise entsprechend wurde im
Gegenstand der deutschen Geschichte nur erkannt , was der Betrachter selbst hinein-
gelegt hatte. Im Unterschied dazu benannte ein Redner der Erlanger Burschenschaft
der Bubenreuther in einem Referat auf der Burschenschaftlichen Sommertagung der
DB 1956 das ‚Vaterland‘ sowie ‚Gott‘ offen als die „beiden Axiome“ des burschenschaft-
lichen Denkens : als jene beiden keiner Begründung bedürfenden oder einer solchen
überhaupt zugänglichen Behauptungen , in Ableitung von welchen die restlichen Ele-
mente des ursprünglichen burschenschaftlichen Wahlspruches ( ‚Freiheit‘ und ‚Ehre‘ )
sich bestimmen ließen.618
Die Bestimmung von Volk und völkischem Empfinden als wenn nicht immer schon
da gewesen , so doch natürlich und dauerhaft619, macht eine biologistische Bestimmung
fand , lässt sich daraus schließen , dass gerade jene , die seine Naturwüchsigkeit behaupten , es als sozia-
les Phänomen erst erschufen.
616 BAK , DB 9 , B. VI.15 [ B ], Protokoll der Verbändetagung von DB und DBÖ 1960 , 4. Zur Kritik der Na-
tion als „vorgestellte politische Gemeinschaft“ ( imagined community ) vgl. das Standardwerk von Ander-
son ( 2005 , hier : 15 ) und das dort ( kritisch ) kommentierte Zitat von Ernest Gellner : „Nationalismus ist
keineswegs das Erwachen von Nationen zu Selbstbewußtsein : man erfindet Nationen , wo es sie vorher
nicht gab.“ ( Zit. ebd., 16 , Herv. i. O. )
617 Burschenschaftliche Blätter Nr. 1 / 1957 , 10.
618 Burschenschaftliche Blätter Nr. 6 / 1956 , 155.
619 So wird das Volk etwa beschrieben als das „( i )m Auf und Ab des politischen Geschehens ( … ) einzig
Bleibende“ ( BAK , DB 9 , I. Wien , Gothia , Bericht über das Sommersemester 1956 , 1 ) oder als „aus sich
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619