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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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des eigenen Kollektivs in der Völkerkonkurrenz , die sich auch auf individueller Ebene
nur verheerend auswirken könne.
Die Beibehaltung , wenn nicht Verhärtung völkischen Denkens aufseiten der Bur-
schenschaften in Österreich nach 1945 wurde durch die – jedem Deutschnationalismus
an sich höchst ungünstige
– Nachkriegssituation paradoxerweise begünstigt. Unter dem
Eindruck des Geschehenen und im Angesicht der veränderten politischen Situation
mochte sich kaum jemand außerhalb des zunächst marginalisierten nationalen Lagers
noch zu einem ‚deutschen Österreich‘ bekennen. Viele Burschenschafter vermochten
sich diesen Schwenk mangels Bereitschaft und/oder Fähigkeit zur Selbstreflexion nur
als Opportunismus zu erklären ( was freilich in vielen Fällen zutraf ), anstatt ihn als Im-
puls für eine Überprüfung der eigenen Position aufzunehmen. Mit der Wiederherstellung
der österreichischen Eigenstaatlichkeit , nunmehr begleitet von aufkommendem Aus-
tro-Nationalismus , wiederholte sich das burschenschaftliche Trauma des ‚Ausschlusses
aus Deutschland‘ von 1866 / 1871 in verschärfter Form
– und wie damals sah man sich ver-
anlasst , die durch die veränderten Verhältnisse prekär gewordene eigene deutsche Iden-
tität den bundesdeutschen Burschenschaftern fortwährend zu beweisen. Hinzu kam nun
die Herausforderung , auch im Inland und unter widrigen Bedingungen entsprechende
Bewusstseinsbildung zu betreiben. Die angesprochene Reflexionsabwehr und der bur-
schenschaftliche Imperativ der Standhaftigkeit gerade gegen Widerstände erschwerten
es , die Frustration und Kränkung über den Kriegsausgang anders als trotzig beharrend
zu verarbeiten. Was Adorno für die zur Volksgemeinschaft formierten Deutschen allge-
mein konstatierte – ihren im Nationalsozialismus florierenden kollektiven Narzissmus ,
dessen Beschädigung durch den Zusammenbruch des Regimes , die ausbleibende Verar-
beitung dieses Umstandes und das daher fortbestehende Sehnen nach ‚Reparatur‘
– gilt
für die Burschenschafter Österreichs als zum großen Teil hoch ideologisierte Vorkämp-
fer und Stützen des NS-Regimes in besonderer Weise. Wie eine Bestätigung der Zei-
len Adornos684 lesen sich Mühlwerths Ausführungen zur Ursache der völkischen Re-
gungen nach dem „physische( n ) und seelische( n ) Zusammenbruch( es ) des Jahres 1945“:
Der Krieg , der die gesamtdeutsche Einheit hätte herbeiführen sollen , nach unerhörten Op-
fern verloren , das Reich zertrümmert , alle Deutschen der Rechtlosigkeit und Geschichtslüge
preisgegeben
– wehrlos : rechtlos ! Die heutige Jugend hat diesen furchtbaren Sturz nicht erlebt
und erfühlt ( … ). Nur dann , wenn sie dieses Erleben auch selbst voll erfasst , wird sie unsere ,
über alles gehende Sehnsucht nach gesamtdeutscher Freiheit verstehen.685
684 Vgl. das ausführliche Adorno-Zitat in Kapitel II.5.7. Zum Umgang der österreichischen Bevölkerung
mit dem „kollektiven Trauma des Scheiterns des narzisstischen Heilungsversuches im Größenselbst des
‚Deutschen‘ “ vgl. Schiedel 2007 , 53–55 ( Zitat : 53 ) sowie Grigat 2003.
685 Teutonia 1968 , 100.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619