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III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt
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liefern oder das Aufwertungsbedürfnis umgekehrt die Übersetzung eines vorhande-
nen Interesses in Nationalismus begünstigen.
Neben solch wechselseitiger Begünstigung können jedoch auch Widersprüche auf-
treten , da die Hingabe des Individuums an das völkische Kollektiv es ( wie im weiteren
Verlauf noch ausgeführt wird ) in seinem Handeln ein Stück weit autonom von ma-
teriellen Interessen macht. Nicht nur deshalb kann deren Übersetzung in ideologisch
angeleitete Politik nicht mechanistisch verstanden werden. Auch können die Interes-
senlagen in sich selbst widersprüchlich sein , da der Burschenschafter
– wie jedes Indi-
viduum
– verschiedenen Interessenkollektiven ( etwa einem männlichen , einem staats-
bürgerlichen , einem besitzbürgerlichen ) angehört. Ebenfalls kann individuelles mit
Klasseninteresse in Konflikt treten. Verschiedenste Einflussfaktoren
– psychische Be-
dürfnisse , individuelle und kollektive Interessen – wirken daher auf burschenschaft-
liches Handeln. Was dem Burschenschafter als idealistischer Akt unter Missachtung
seines persönlichen Vorteils erscheint , kann daher tatsächlich ein solcher sein ( oder den
persönlichen Vorteil als narzisstische Aufwertung durch die eigene Uneigennützigkeit
realisieren ), aber auch den dem Akteur zur zweiten Natur gewordenen kollektiven In-
teressen seiner Klasse oder seines sozialen Geschlechts dienen. Dass die Durchsetzung
des vermeintlichen Volksinteresses nicht nur bestimmten Partikularanliegen zuarbeitet ,
sondern häufig auch den einzelnen Burschenschafter materiell begünstigt , macht das
Ideologem des ‚Wohles des deutschen Volkes‘ für den Betroffenen nur umso plausibler.
Sowohl die sozialen Funktionen als auch die idealistischen Begründungen burschen-
schaftlichen politischen Handelns blieben nach 1945 im Wesentlichen unverändert. Zum
Teil gilt dies auch für die konkreten Positionen und Forderungen. So propagierten Bur-
schenschaften und Burschenschafter in ( partei-)politischen Positionen etwa weiterhin
einen privilegierten Zugang bildungsbürgerlicher Milieus zu höherer Bildung und so-
mit auch zu kulturellen , symbolischen und ökonomischen Ressourcen. Diese Haltung
diente der Reproduktion der bestehenden sozialen Schichtung , wie familien- und be-
völkerungspolitische Äußerungen von burschenschaftlicher Seite auf die Aufrechterhal-
tung der patriarchalen Dividende ( Raewyn Connell ) zielten. Im Kontext einer ethnisch
vielfältiger werdenden Gesellschaft verfolgten die Burschenschaften in Österreich des
Weiteren einen Kurs der Sicherung mehrheitsösterreichischer – im burschenschaftli-
chen Verständnis : deutscher
– Privilegien in allen Politikfeldern : Arbeit , Wohnen , Bil-
dung , politische Partizipation usw.706
Dass die Anliegen der von diesen Beispielen berührten Interessenkollektive mitein-
ander in Konflikt treten können
– und damit auch die je konkreten Motivlagen des ein-
zelnen Burschenschafters bei gleichzeitiger Zugehörigkeit zu mehreren dieser Kollek-
tive – , wurde bereits erwähnt. So mag etwa das Klasseninteresse wirtschaftstreibender
706 Vgl. zur politischen Praxis der Burschenschaften nach 1945 die Kapitel IV und V.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619