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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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mus‘ oder Kollektivsubjekt erklärt , braucht es jemanden , der seinen einheitlichen Wil-
len erkennt und artikuliert – die männliche( n ) Elite( n )“.757 Wie in Abschnitt III.6.3
aufgezeigt wurde , wäre aus burschenschaftlicher Sicht hierfür niemand eher prädesti-
niert als die Burschenschafter selbst. Wo dagegen eine unzulängliche Führung agiert ,
kann bzw. muss deren Fehlverhalten im völkischen Demokratieverständnis durch ‚volks-
treues‘ Sentiment und ihm entspringendes Handeln von unten korrigiert werden. Die
Überordnung von ‚gesundem Volksempfinden‘ über demokratisch zustande gekomme-
nes , positives Recht erscheint in diesen Fällen legitim. So kommentierte Teutonia die
in offenem Widerspruch zur geltenden Rechtslage erfolgten Freisprüche in den Süd-
tirolprozessen der 1960er-Jahre zufrieden damit , dass die Geschworenen sich „an ihr
natürliches Rechtsgefühl“ gehalten hätten.758 Beim Kärntner ‚Ortstafelsturm‘ wiede-
rum wurde nach Scrinzis Überzeugung „die Demokratie“ nicht etwa mit Füßen getre-
ten , sondern habe sich vielmehr „ihren Weg ( ge )bahnt“.759
Dass im Angesicht völkischer Erfolge der Art ihres Zustandekommens nachrangige
Bedeutung beigemessen wird , ist angesichts des burschenschaftlichen Primats des Völ-
kischen nur konsequent. Ein Nationsbegriff , der auf der Idee des Volkes als „vorpoli-
tische( r ) Einheit“ aufbaut ,
muss nicht
– anders als beim klassisch-liberalen Denken
– durch Bürger- und demokratische
Teilhaberechte legitimiert werden. Im Gegenteil : Die prinzipielle Vorrangigkeit des Volkes
gegenüber dem Individuum rechtfertigt noch die Einschränkung individueller Freiheitsrechte
und demokratischer Verfahren im Namen des ‚Volks-Interesses‘.760
Die Option auf autoritäre Herrschaft oder – in einer Situation ( partei-)politischer
Schwäche – auf die Diktatur des Mobs ist völkischen Gruppierungen aufgrund dieser
Prioritätensetzung stets immanent. Dies gilt , wie Cerwinkas Vermerk über die verbrei-
tete „Geringschätzung des demokratischen Rechtsstaates gegenüber einer Verabsolu-
tierung des Volkstums“ unterstreicht761 , auch für das Burschenschaftswesen in Öster-
reich. Solche Geringschätzung kann sich in Form offener Ablehnung manifestieren ,
aber auch als bloße Gleichgültigkeit – wie im Fall der von Mühlwerth behaupteten
Haltung „tausende( r ) Burschenschafter“, die den Kriegstod in Kauf genommen hätten ,
„ohne zu fragen , ob die Monarchie , die Republik oder der nationalsoziale Absolutis-
mus hinter ihnen stehe“.762 Erneut zur Tendenz wurde die autoritäre Option nach 1945
757 Schiedel 2007 , 33.
758 Teutonia 1968 , 109. Vgl. auch Kapitel IV.3.3 bzw. die Arbeiter-Zeitung vom 15. 10. 1965 , 1.
759 Aula Nr. 10 / 1972 , 8.
760 Heither 2000 , 88.
761 Cerwinka 2009 , 110.
762 Teutonia 1968 , 110 ( bereits zitiert in Abschnitt III.7 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619