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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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zu melden.785 Lässt schon das Delegiertenprinzip an sich Minderheitsmeinungen un-
artikuliert , da die Delegierten zur Vertretung der in ihrem Bund majoritären Linie ver-
pflichtet sind786 , und begünstigt überdies die Entstehung von Informationshierarchien ,
trägt das Redeverbot für Nicht-Delegierte zusätzlich dazu bei , abweichende Meinun-
gen unsichtbar zu machen.
Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung burschenschaftlicher Verbände in Öster-
reich lässt sich zudem auf die schon mehrfach erwähnte , ausgeprägte Tendenz zur
Ämterkumulation verweisen. Diese hatte ihrerseits die Ausbildung einer Art Funk-
tionärskaste oder politischen Klasse unter Burschenschaftern ( vgl. Abschnitt III.2.2 ) zur
Folge und trug so weiter zur ungleichen Verteilung von Information und Möglichkei-
ten der Teilhabe an Entscheidungsprozessen bei. Schwer in ihrer Bedeutung zu über-
schätzen sind zudem die ideologische Dominanz burschenschaftlicher Meinungsführer
im Konkreten und des durch sie repräsentierten burschenschaftlichen Mainstreams im
Allgemeinen sowie die Auswirkungen dieser Dominanz auf die Artikulierbarkeit ab-
weichender Meinungen ( vgl. Abschnitt III.2.3 ).
Wissenshierarchien wurden immer wieder auch durch konspiratives Vorgehen und
restriktive Informationspolitik gefördert
– nicht zuletzt im Zuge der Anbahnung des
Zusammenschlusses der österreichischen mit den bundesdeutschen Bünden in einem
gemeinsamen Dachverband.787 So bemängelte der Göttinger Brunsvige Werner Hof-
meister , dass Auseinandersetzungen über die einschlägigen Pläne , „so sie überhaupt
785 Vgl. BAK , DB 9 , E. 4 [ B1 ], ADC-Rundschreiben Nr. 7 ( Alemannia ) vom April 1959 , 2 ; vgl. ferner BAK ,
DB 9 , E. 4 [ B2 ], DBÖ-Rundschreiben Nr. 4 ( Cruxia ) vom 1. 4. 1962 , 2 und BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Nie-
derschrift des ADC-Tages 1959 , 9.
786 Als der Vertreter der Oberösterreicher Germanen am DB-Burschentag 1976 gegen die Bundlinie stimmte
–
d. h., sich der Stimme enthielt , anstatt für die Möglichkeit der Mitgliedschaft von Burschenschaftern in
rechtsextremen Organisation zu votieren
– erklärten Gothia , Libertas und Olympia , fortan nicht mehr
mit den Germanen fechten zu wollen. Letztere reagierten , indem sie einen jährlichen Generalkonvent
vor Burschentagen einführten , der den Delegierten „Entscheidungshilfen und -vorgaben liefern“ und so
Alleingänge vermeiden sollte ( Oberösterreicher Germanen 1994 , 77 ). Zu den Folgen der Kombination
von Mehrheitsprinzip und imperativem Mandat vgl. etwa das Beispiel der Salzburger Reform-Arbeits-
tagung der DBÖ von 1964 : Allein im Rahmen der Wiener Vorbereitungssitzung ( nicht aber jener der
Grazer , Innsbrucker und Leobner Bünde ) war es den Teilnehmern ermöglicht worden , ihre persönli-
che Meinung zu artikulieren , wodurch die bestehende Meinungspalette der Wiener Burschenschafter
transparent geworden und eine Debatte zustande gekommen war. Auf der zusammenführenden Tagung
in Salzburg selbst wurde dieses Prinzip nicht angewandt
– und die Hälfte der Punkte angesichts über-
einstimmender Mehrheitsmeinungen in allen vier Hochschulstädten gar nicht erst andiskutiert ( vgl.
Abschnitt III.5.3 ).
787 Vgl. dazu etwa § 10 des Abkommens zur Verbändetagung von DB und DBÖ ( wiedergegeben in BAK ,
DB 9 , E. 4 [ B1 ], Anlage 1 zum ADC-Rundschreiben Nr. 7 [ Alemannia ] vom April 1959 , 2 ). Der Jah-
resbericht des Geschäftsführenden Ausschusses der Verbändetagung ( GAVT ) durfte 1960 nicht einmal
verbandsintern zirkuliert werden ( vgl. BAK , DB 9 , E. 4 [ A2 ], Anlage 2 zum Protokoll des DBÖ-Tages
1960 , 7 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619